Mission Ares
ein Stück Lasagne auf und führte es zum Mund. Seine Augen wirkten tiefblau und undurchdringlich.
York versuchte, Konversation zu betreiben.
»Hast du viel zu tun?« fragte sie.
Er schnitt eine Grimasse. »Was sonst? Ich habe mehr zu tun als zu meiner Zeit als Astronaut. Kaum zu glauben, was? Ich mußte schon an so vielen Simulationen teilnehmen, daß ich längst den Überblick verloren habe.«
»Das ist wohl ein Indiz dafür, wie sehr…«
»… du mich brauchst. Ich weiß, Natalie.«
»Schau, Adam. Ich weiß, wie du dich fühlst. Du hast schon für die Mondlandungen trainiert. Und nun zieht ein Anfänger wie ich an dir vorbei…«
»Ich habe Weltraum-Medizin studiert«, sagte er unvermittelt.
»In der Freizeit.«
Dieser Gedankensprung verwirrte sie. Vielleicht war das ein Indiz für Adams mentale Verfassung. »Wirklich? Wieso?«
Er musterte sie. »Wieso nicht? Früher habe ich das nie ernst genommen. Und weißt du, was ich herausgefunden habe? Als Mitglied einer Raumschiffsbesatzung bist du ein ›öffentlich bestelltem Strahlenarbeiter. Was sagst du dazu. Und mit Blick auf die Strahlendosis, die man im All abbekommt, gelten die Arbeitsschutzbestimmungen.«
»Und was hat das zu besagen? Ich wette, wenn wir uns an die Regeln halten, würden wir nie den Erdorbit verlassen.«
Er lachte. »Das stimmt auch. Im niedrigen Erdorbit wird man bis zu einem gewissen Grad von der Magnetosphäre geschützt.
Darüber hinaus ist man ungeschützt. Doch die NASA hat eine Ausnahmegenehmigung für
außerordentliche
Forschungsmissionen‹.«
»Dann haben sie sich also abgesichert.«
»Genau. Wie die Luftwaffe.« Er schaute sie mit einem
undurchdringlichen Gesichtsausdruck an. »Ohne den Schutz der Magnetosphäre gibt es viele Risiken dort draußen. Da wären zum Beispiel die Sonnenaktivitäten – Protuberanzen, bei denen man sich in die Schutzunterkunft zurückzieht –, doch dann gibt es noch die konstante Hintergrundstrahlung, kosmische Strahlen aus dem galaktischen Hintergrund. Und Frauen sind…«
»Um fünfzig Prozent anfälliger für Strahlung als Männer. Ich weiß, Adam«, sagte sie.
Er machte einen entrückten Eindruck. »Weißt du, man spürt den Unterschied. Du mußt die Erfahrung selbst machen, Natalie; ich vermag sie nicht zu beschreiben. Man spürt, wie das Blut durchs Herz in die Adern strömt. Man kehrt mit ›Hühnerbeinen‹ zurück, wie wir sagen. Das geht aber vorbei.
Doch dann unterliegt man einem schnellen Alterungsprozeß…
ich bin nicht der einzige, mußt du wissen.«
»Der einzige was?«
»Der einzige Astronaut, der so geendet hat. So weit ich weiß, ist bisher niemand von den Aktiven explizit wegen Strahlenbelastung ausgemustert worden. Doch ein paar der Älteren, die in den sechziger Jahren geflogen sind, leiden nun an Osteoporose. Krebs. Sie sind in den Fünfzigern und Sechzigern und sterben an Krankheiten, die in der normalen Population nicht auftreten.«
Sie fröstelte und legte die Gabel aus der Hand. »Und diese Kameraden sind gerade einmal für zwei bis drei Wochen im All gewesen…«
»Schon. Aber wir haben vier Milliarden Jahre gebraucht, um uns an das Leben auf der Erde anzupassen. Für eine Weile glaubten wir, die Raumfahrt sei ein Spaziergang. Ich vermute, wir setzen wirklich unser Leben aufs Spiel, oder? Doch manche Leute scheinen keine gesundheitlichen Probleme zu haben. Zum Beispiel leiden sie bei der Rückkehr nur an leichtem Muskelschwund. Vielleicht gehörst du auch zu den Glücklichen, Natalie. Vielleicht bist du immun…«
»Wenn wir in einer rationalen Welt leben würden«, sagte
York, »dann hätten wir gar kein Missionsprofil wie Ares. Der Ares-Plan ist im Grunde ein Relikt der Sechziger.«
»Genau. Damals ging es nur darum, das Ziel zu erreichen.
Niemand fragte, was man tun mußte, um es zu erreichen. Es wäre sinnvoller, nicht nur einen dreißigtägigen Aufenthalt auf dem Mars zu planen, sondern gleich für ein ganzes Jahr dortzubleiben. Auf der Marsoberfläche ist man relativ
geschützt. Während der kurzen Flugreise unterliegst du fast der gleichen Strahlenbelastung wie bei einer doppelt so langen Hohmann-Mission, bei der du dich für fünfhundert Tage auf dem Mars aufhalten würdest. Auf dieser einen Mission erhältst du fast die Dosis, die nach den geltenden Grenzwerten für ein ganzes Leben zulässig ist.«
»Gemäß der Arbeitsschutzbestimmungen, richtig?«
»Ja. Überhaupt wäre ein längerer Aufenthalt auf dem Mars besser für dich«, fuhr er
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