Mission Ares
inzwischen eine vielfältige Bedeutung hatte: Ares als ein geopolitisches Symbol. Ares als Meilenstein für die Technokratie.
Doch so würde es wahrscheinlich immer sein. Die Erringung eines politischen Vorteils war letztlich der einzige Grund, weshalb eine Regierung die Raumfahrt überhaupt finanzierte.
Und nun mutierte sie, Natalie York, die Zweiflerin an der Raumfahrt, zu einer Ikone des tödlich-glamourösen Weltraum-Geschäfts.
Sie sah zur Leinwand auf und schaute in ihr tausendfaches Spiegelbild. Sie schauderte.
Die Reisen, die Pressekonferenzen, die Fototermine nahmen kein Ende.
Sie verkündete die von den PR-Leuten in eine Formel
gekleidete Botschaft. Ich brauche euch! Leistet gute Arbeit!
Und überall, wohin sie kam, waren Leute: Tausende, die sie anstarrten und anlächelten. Dennoch schienen sie sich irgendwie zurückzuhalten. Als ob sie sie berühren wollten. Und jedesmal applaudierten sie ihr.
Über die Zukunft machte sie sich kaum Gedanken. Für sie lag
›nach der Mission‹ noch in so weiter Ferne, als ob die Mission nie enden würde. Es kam ihr so vor, als ob in dem Moment, wo sie die Kommandokapsel betrat, auch ihr Leben zu Ende wäre.
Doch es würde ein Leben danach geben. Und in gewisser
Weise war nichts von dem, was sie auf dem Mars tat – nicht einmal ihr Steckenpferd, die Geologie –, so wichtig wie der schlichte Sachverhalt, daß sie dort gewesen war.
Sie erinnerte sich an den Ausdruck auf den Gesichtern der Presseleute und der Menschen überhaupt, mit dem sie die heimgekehrten Mondfahrer angeschaut hatten. Wenn ich zurückkomme, werden sie mich genauso ansehen. Das tun sie jetzt schon. Und sie haben ein Recht dazu; schließlich bezahlen sie dafür.
Und was war mit ihr? Würde sie wie Joe Muldoon werden,
eine Art wandelnder Geist, dessen Leben durch das kurze, traumgleiche – und einmalige – Zwischenspiel auf dem Mars umgekrempelt worden war?
Nun sah sie auch eine dunklere Seite an der Faszination, mit der die Leute sie betrachteten. Natürlich wollten sie Zeuge sein, wie diese Frau – die im Grunde eine in den Astronauten-Status erhobene Normalbürgerin war – den Mars betrat und stellvertretend für sie einen unvorstellbaren Schritt in der Evolution vollzog.
Doch sie kalkulierten auch ihren Tod ein…
Montag, 18. Februar 1984
Marion, Ohio
Es war ein typischer Kleinstadtfriedhof: weiße Marmor—
Grabsteine standen in Reih und Glied in der gepflegten Anlage.
Das offene Grab klaffte wie eine Wunde im Erdboden, die
darauf wartete, daß sie wieder geschlossen wurde.
Die Astronauten, Aktive und Veteranen, die zur Beerdigung erschienen waren – unter anderem auch Joe Muldoon und Phil Stone – fügten sich in den schwarzen Anzügen und mit dem militärischen Habitus harmonisch in die Trauergemeinde ein.
Schließlich waren Astronauten perfekte Kleinstadt-Helden, nicht mehr und nicht weniger.
Es war ein herrlicher Tag. Der Himmel war strahlend blau, und das Sonnenlicht war Vorbote des nahenden Frühlings.
York fühlte sich betäubt und leer, unfähig zu trauern.
Peter Priest war mit fünfundzwanzig einen schmutzigen Tod an einer Überdosis Kokain gestorben. Er hatte sein Leben vergeudet, sagte sie sich, und nichts erreicht. Was, zum Teufel, gab es da zu betrauern? Und sie hegte auch keine Schuldgefühle wegen ihrer Gefühllosigkeit. Zumal der Junge wahrscheinlich eh nicht mit dem Aufwand einverstanden gewesen wäre, den seine Mutter bei der Beerdigung trieb.
York erinnerte sich an den kleinen Jungen, der vor so vielen Jahren auf dem Testgelände für Nuklearraketen herumgestreunt war. Welche Bedeutung hatte sein Tod nun? Gab es einen Bezug zu den Tagen in Jackass Flats
– zum
Raumfahrtprogramm an sich, zur Verfolgung seiner Ziele, zum Umstand, daß sein Vater diesem Programm zum Opfer gefallen war?
Und in welchem Licht erschien angesichts dieses tragischen Ereignisses ihre seltsame Beziehung zu Ben?
Sie hätte nicht herkommen sollen. Doch Karen Priest hatte sie darum gebeten: ›Ben hat oft von Ihnen gesprochen. Ich weiß, daß Sie eine gute Freundin von ihm waren. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie mit uns Petey gedenken würden…‹
Petey, um Gottes willen. Er wollte immer Peter genannt werden. Ein recht bescheidener Wunsch.
Eigenartigerweise wirkte Karen nicht so traurig, wie York erwartet hatte. Als ob sie Peters Tod als Teil der alten Abmachung begriff, die sie mit ihrem Ehemann getroffen hatte.
Manchmal fragte York sich, ob ihre
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