Mission Ares
du je zu mir gesagt hast.«
Seit ihrem letzten Streit und der Sache mit NERVA sah sie ihn nun zum erstenmal wieder. Sie fand, daß es mutig von ihm gewesen war, herzukommen. Wenn sie noch solche Schuldgefühle wegen Ben verspürte, wie mußte Mike sich dann erst fühlen.
Doch er wirkte völlig gelassen. Vielleicht hatte er einen Weg gefunden, die Geschehnisse zu verarbeiten und seinen Part in dem Desaster zu rationalisieren. Wenn das wirklich der Fall war, beneidete sie ihn.
»Du mußt mich mal besuchen«, sagte er. »Du mußt Bobbie
kennenlernen.«
»Deine Frau, oder?«
Er stutzte. »Ach so, du kennst sie noch gar nicht.« Dann drehte er sich um und wies auf eine schlanke blonde Frau, die bei den Fahrzeugen stand. Sie hielt ein Kind an der Hand und winkte ihnen zu.
»Du hast ein Kind.«
»Zwei.« Conlig grinste stolz. »Das Baby ist bei seiner
Großmutter. Von den Kindern wußtest du auch noch nichts.
Teufel, Natalie. Bei der Vorstellung…«
Bei der Vorstellung, daß es vielleicht meine wären. Sie verdrängte diesen Gedanken, und Conlig war so taktvoll, nicht mehr davon zu sprechen.
Sie verdrückte sich ziemlich früh. Mike war sehr nett
gewesen und hatte ihr unter anderem das Versprechen
abgenommen, ihn in seinem Gyroskop-Werk zu besuchen. Sie schieden mit einem Handschlag.
Verwirrt eilte York zum Auto.
Conlig hatte viel souveräner gewirkt, als sie ihn in Erinnerung hatte. Diese Besessenheit, diese Fixierung auf eine einzige Sache waren verschwunden. Vielleicht hatten diese Eigenschaften auch nur den Zweck gehabt, ihn dorthin zu
befördern, wo er hingehörte. Dann hatte er sie wie eine
ausgebrannte Raketenstufe abgestoßen.
Conligs Position spiegelte sich in seinem. Habitus, sagte sie sich: ein wohlhabender, aufstrebender Mittvierziger.
Mike hatte eine Familie gegründet. Wurzeln geschlagen. Er hatte die technischen Wahnvorstellungen der Jugend abgeschüttelt. Er hatte zur menschlichen Rasse gefunden. Er war erwachsen geworden. Er war die Art Mensch geworden, die sie immer vor Augen hatte; allerdings vermochte sie sich nicht vorzustellen, selbst jemals eine dieser Art zu werden.
Und wo stehe ich nun, zum Teufel?
Die Existenz des Mars-Programms hatte die Geschichte des Raumfahrtprogramms entstellt, wie sie nun erkannte. Im Moment bestand der einzige Daseinszweck der NASA darin,
die drei auf der Marsoberfläche zu landen und sie wieder nach Hause zu bringen. Sonst war nichts von Belang – nicht einmal die Frage, was danach kommen mochte.
Und in der gleichen Art und Weise hatte der Mars auch ihr Leben umgekrempelt, als ob sie ein maßstabsgetreues Modell der Welt wäre.
Teufel, vielleicht hätte ich doch lieber ›Spürhund‹ bei einer Ölgesellschaft werden sollen. Dann wäre ich jetzt glücklich und viel besser dran. Doch der diabolisch rote Mars hatte ihr die Sinne verwirrt, und um den Planeten zu erreichen, hatte sie alles aufgegeben: ihre Karriere, die Wissenschaft, wahrscheinlich auch die Aussicht auf eine Familie. Zumal ihre Zukunft nach Abschluß der Mission sowieso in den Sternen stand.
Mike Conlig hatte sich ihr heute als Vorbild des Erwachsenen präsentiert, der sie auch hätte werden können. Wenn da nicht der gottverdammte Mars gewesen wäre.
Als sie ins Auto stieg, wurde sie von einer tiefen Depression heimgesucht.
Dienstag, 26. Februar 1985
Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
In Gebäude 3 befand sich die Cafeteria. York pochte nicht auf den Status als Mars-Astronautin, sondern stellte sich hinter dem ›Fußvolk‹ an der Essensausgabe an. Dann setzte sie sich an einen kleinen Tisch am Fenster. Das Essen war typischer Kantinenfraß – verschmortes Steak mit Reis –, den sie mit Sodawasser runterspülte.
Die Cafeteria war in einem der älteren JSC-Gebäude
untergebracht. Es handelte sich um einen düsteren Saal mit kleinen Fenstern und gekachelter Decke – die Architektur der frühen Sechziger, die sie unangenehm an die Schule erinnerte, wo sie immer an Klaustrophobie gelitten hatte.
Adam Bleeker setzte sich zu ihr an den Tisch. »Ist noch ein Plätzchen frei?«
Sie rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte ihn gar nicht kommen sehen. Bleekers Gesicht war so ausdruckslos wie immer.
Vielleicht hat er wirklich die Ruhe weg. »Nein… Ich meine, Teufel, ja, natürlich, Adam. Bitte.«
Er nickte, stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich. Er hatte eine Gemüse-Lasagne auf dem Teller, das Gesundheitsmenü des Tages. Nun spießte er mit der Gabel
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