Mission Ares
keine hastigen Bewegungen ausführen durfte. Sonst stieß sie vielleicht mit der Ausrüstung zusammen, legte aus Versehen einen Schalter um oder beschädigte die Ausrüstung sogar. Überhaupt war Hektik unprofessionell. Sie lernte, sich mit der Grazie eines Tauchers zu bewegen.
Das war nicht schwer. Mikrogravitation war nur eine andere Umgebung, und sie würde sich ihren Bedingungen anpassen.
Die Messe mit dem kleinen Kunststofftisch und den drei mit Gurten versehenen Stühlen war sauber und leer. Die Kabine lag im hellen Schein der Deckenlampen. Wände und Böden waren nicht massiv, sondern bildeten ein Mosaik aus beschrifteten Schubladen und Fußhalterungen – Schlaufen aus Kunststoff –, und überall waren Klettverschlüsse. Es gab Richtungsanzeiger für ›oben‹ und ›unten‹, Leitsysteme und Farbcodes. Alles war den Bedingungen in der Schwerelosigkeit angepaßt.
Das Ding sah aus wie eine Flugzeugkabine, sagte sie sich; überall Kunststoff, kompakt und durchdacht, alles an seinem Platz. Wie ein Wohnmobil für den Weltraum. Jetzt war die Einrichtung noch neu, und die Oberflächen hatten keinen Kratzer – doch nach ein paar Monaten würde das schon anders aussehen. Ein Großteil der Ausrüstung des Missionsmoduls war noch verstaut. Die Besatzung würde das Modul während der nächsten Tage einrichten und für den langen Flug konfigurieren müssen.
Die Entsorgungs-Station war eine kleine Kabine mit einer stählernen, verschraubten Toilettenschüssel, deren rustikale Ausführung an eine Latrine in einem militärischen Biwak erinnerte. Sie zog den Schirm zur Seite und drehte sich in der Luft. Dann ließ sie die Hose herunter und setzte sich auf die Schüssel. Gepolsterte Stangen klappten über die Schenkel, um sie auf dem Sitz festzuhalten.
Sie zog einen Schlauch aus der Vorderseite des Behälters.
Dieser Schlauch würde den Urin in einen Tank leiten, dessen Inhalt dann im Weltraum entsorgt wurde. Der Schlauch rechtfertigte die aus der Apollo-Ära stammende Bezeichnung ›Pissoir‹, welche die Astronauten noch immer für die
Entsorgungs-Station verwendeten. In einem Schrank neben ihr befand sich eine Reihe von farblich markierten Adaptern, um eine Verwechslung durch die Benutzer auszuschließen. Das war im Grunde unnötig, weil die Adapter ohnehin für die männliche beziehungsweise weibliche Anatomie konzipiert und somit unverwechselbar waren. Im Schrank roch es bereits, und der transparente Kunststoff der Aufsätze färbte sich gelb.
Achtzehn Monate.
Sie verband den Adapter mit dem Schlauch, stülpte ihn über die intimen Teile und öffnete das Ventil zum Urinsammelbehälter.
Die Benutzung dieser Vorrichtung erforderte eine bestimmte Strategie – mit dem Zweck der Schmerzminimierung. Öffnete sie das Ventil zu früh, dann würde der Unterdruck auf sie wirken. Und wenn das Ventil sich wieder schloß, bestand die Gefahr, daß ein Teil von ihr darin verschwand. Um das zu vermeiden, mußte sie einen Sekundenbruchteil vor dem Öffnen des Ventils urinieren. Und dann mußte sie immer noch damit rechnen, daß der Adapter abrutschte und der Urin in goldenen Kügelchen durch die Gegend driftete.
Es kostete sie ein paar Sekunden der Überwindung.
Wo sie nun hier saß, erwog sie, auch den Darm zu entleeren.
Rein mechanisch war das leichter als Urinieren. Dazu mußte sie die Schleuder aktivieren, eine rotierende Trommel unter der Schüssel. Der Kot würde an der Trommelwand abgelagert, und nachdem sie das Geschäft erledigt hatte, würde sie einen Schalter betätigen und die Trommel evakuieren. Der Kot würde dann gefriergetrocknet werden.
Obwohl sie einen Druck im Unterleib verspürte, war im Moment nichts zu machen. Es würde wohl ein paar Tage
dauern, bis sie sich soweit entspannt hatte, um es zu schaffen.
Außerdem fehlte hier die Unterstützung durch die Schwerkraft, wie die Kameraden ihr schadenfroh versichert hatten; sie sah der Verrichtung mit gemischten Gefühlen entgegen.
Sie nahm ein paar Naßtücher und säuberte das Innere des Adapters. Die Tücher hätten aus jeder Drogerie stammen können, wäre da nicht der strenge desinfizierende Geruch gewesen.
Sie entriegelte die Halterungen und stand auf. Dann hielt sie die Hände ins Waschbecken; hierbei handelte es sich um eine Kunststoffkugel, die ihre Hände mit Wasser besprühte, das anschließend in einen Sammelbehälter abfloß. Ein paar Tröpfchen entwichen aus dem Becken und kreisten ums Klo, doch sie holte sie mit Leichtigkeit aus der
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