Mission Munroe 03 - Die Geisel
gab Bradford ihr eine Wegbeschreibung. Munroe schrieb mit. Eine Adresse, die sie weder in das Handy noch in das GPS eingeben wollte, für den Fall, dass Lumani eine Möglichkeit hatte, diese Daten zu lesen.
»Du musst deinem Mann aber sagen, dass ich beschattet werde«, sagte Munroe.
»Kannst du deine Verfolger nicht irgendwie abschütteln?«
»Die sind die reinste Wanzenplage.«
»Ich sag’s ihm«, meinte Bradford, und Munroe hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Pass auf dich auf.«
»So gut ich kann.«
Als Munroe sich neben Neeva stellte, starrte sie immer noch zum Fenster hinaus. Und der alte Mann musterte immer noch Neeva.
»Irgendwas gesehen?«, fragte Munroe, doch Neeva schüttelte den Kopf.
Drei Türen weiter in Richtung Bahnhof lockte ein Kleidungsgeschäft mit Rabatten. Munroe trat mit Neeva im Schlepptau ein, zählte den größten Teil von Arbens Geld auf den Tresen und kaufte damit ein viel zu großes, langärmeliges Hemd als Ersatz für Arbens Jackett und einen schicken Hut, unter dem Neeva ihre Haare verstecken konnte.
Neeva sah dadurch zwar nicht völlig unauffällig aus, aber das Ensemble passte jetzt insgesamt besser zusammen, und sie erregte dadurch weit weniger Aufmerksamkeit.
»Wir besorgen dir später noch etwas anderes«, sagte Munroe. »Aber für mehr reicht mein Geld im Moment nicht.«
»Geht schon«, meinte Neeva.
Sie kehrten zum Bahnhof zurück. Munroe suchte nach den Schließfächern, konnte sie nirgendwo entdecken und folgte den Wegweisern zum Deposito bagagli , der Gepäckaufbewahrung, wo man sein Gepäck gegen Gebühr einem Angestellten aushändigen und aufbewahren lassen konnte. Doch als sie sah, dass bereits fünf Menschen in der Schlange standen, blieb sie stehen. Drehte sich langsam im Kreis, musterte Geschäfte und Menschen, suchte in den Gesichtern nach Neugier oder einer Spur von Wiedererkennen. Streifte den Rucksack ab. Machte ihn auf und holte das Klebeband, das Handy und die Reisedokumente heraus. Steckte sich alles, auch die unhandliche Rolle mit dem Klebeband, in ihre Jackentaschen, sah sich noch einmal unauffällig um und stopfte dann den Rest zusammen mit dem Rucksack in einen Mülleimer.
Neevas Lippen formulierten eine Frage, aber sie hielt rechtzeitig inne, bevor die Worte nach draußen drangen. Munroe nahm sie am Ellbogen und zeigte auf die Rolltreppen. »Komm weiter«, sagte sie.
Wenn sie gekonnt hätte, sie hätte Neeva am liebsten im Bahnhof gelassen und sie wieder abgeholt, nachdem sie erledigt hatte, was zu erledigen war. Mit Partnern zu arbeiten bedeutete immer zusätzliche Komplikationen. Irgendwann mussten sie beschützt werden, und normalerweise standen sie einem immer dann im Weg herum, wenn man es gar nicht gebrauchen konnte. Aber Neeva, ohne jede Ausbildung, mit ihrem kindlichen Vertrauen und unter diesen Umständen, war eine außergewöhnlich schwere Bürde.
Trotzdem konnte Munroe es nicht riskieren, sie allein zu lassen. Nicht einmal als Köder.
Wenn Lumani auch nur halb so sehr das Raubtier war, für das sie ihn hielt, und nur einen Bruchteil der strategischen Fähigkeiten besaß, die sie ihm zutraute, dann würde er wissen, dass seine Beute ihn mit diesem Aufenthalt im Bahnhof und der plötzlichen Trennung der Peilsender nur verwirren wollte. Aber um sicherzugehen, musste er jede Möglichkeit überprüfen, und das würde Zeit kosten. Das war auch der einzige Grund, weshalb sie den Rucksack mit der Ausrüstung im Müll zurückgelassen hatte: um Zeit zu gewinnen.
Munroe verließ das Erdgeschoss, schob sich durch die Menschenmassen wieder hinunter zu den Gleisen, auf denen sie vorhin erst angekommen waren, um wieder zurückzufahren. Erreichte den Bahnsteig, und während Neeva sich an eine der gekachelten Wände sinken ließ, um wieder zu Atem zu kommen, musterte Munroe Gesichter und wartete auf die Automatenstimme und das Singen der Gleise. Das Donnern kam näher, und die kreischenden Bremsen kündigten die nächste Bahn, die nächste Chance auf die Freiheit an.
Wartende Fahrgäste schoben sich zu den Türen. Munroe dirigierte Neeva mitten ins Gedränge. Dann machten sie den aussteigenden Fahrgästen Platz. Da erblickte Munroe auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, dicht bei der Treppe, etwas, was ihr bekannt vorkam. Zuerst war es nur ein farbiges Aufblitzen, wie die Reflexion auf einer Metalloberfläche oder einem übergroßen Aktenkoffer.
Munroe betrat den Waggon und lenkte Neeva mit der Hand hinter eine Gruppe stehender Fahrgäste,
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