Mission Munroe 03 - Die Geisel
Munroe wieder zu, und der Mann mit der Schürze drehte sich zu ihr um. »Ich habe gehört, dass du beschattet wirst«, sagte er. Sein Englisch hatte einen leichten, aber unüberhörbaren Texas-Kleinstadt-Akzent.
»Ja«, erwiderte sie und ließ den Blick aus reiner Gewohnheit an den Wänden und Kanten des fensterlosen Raumes entlanggleiten, wollte abschätzen, wo die falschen Wände endeten und der eigentliche Raum anfing. »Ich habe aber mindestens fünf Minuten Vorsprung«, sagte sie, »und gehe gleich noch in ein paar andere Läden, um die Spur noch ein bisschen zu verwischen.«
Er legte einen Aktenkoffer, der neben dem Stahltisch gestanden hatte, auf die Tischplatte, klappte ihn auf und drehte ihn zu ihr um.
Munroe besah sich den Inhalt: zwei israelische Neun-Millimeter-Jericho. Zwei Ersatzmagazine. Acht Kartons mit je fünfzig Neun-Millimeter-Patronen. Ein Briefumschlag. Sechs Bündel Euro-und Dollar-Scheine. Handy. Ladegerät. Taschenmesser. Elektroschocker.
Bradford! Sie liebte diesen Mann. Nur er war in der Lage, ohne weitere Erklärung so genau vorauszusehen, was sie vorhatte. Munroe holte das Klebeband und Lumanis Ausweispapiere aus der Jacke und warf sie in den Koffer.
Sie hob den Blick und sah, dass der Mann mit der Schürze sie genauso aufmerksam musterte, wie sie den Raum gemustert hatte. »Wer immer du bist«, sagte er. »Aber Miles hat dir gerade einen riesigen Gefallen getan. Ich hoffe sehr, dass du es wert bist.«
»Auf jeden Fall«, erwiderte sie. Der namenlose Mann klappte den Aktenkoffer zu und gab ihn ihr.
»Hast du vielleicht eine andere Tasche?«, fragte sie. »Etwas, das leichter zu tragen ist und nicht so auffällt?«
»Du bist zu Fuß unterwegs?«
Munroe nickte.
»Im Personalraum«, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung in die entsprechende Richtung. Sie folgte ihm nach nebenan, wo er einen Stoffbeutel aus einem Kabuff holte und den Inhalt einfach auf den Boden kippte. »Das muss reichen«, meinte er. »Es sei denn« – er musterte sie von Kopf bis Fuß –, »du willst eine Handtasche haben.«
»Der Beutel ist okay«, sagte sie.
Er hielt ihn ihr hin, während sie die Sachen umpackte. »Miles hat von dir gesprochen, als wärst du eine Frau«, sagte er.
Munroe steckte das Handy in ihre Jackentasche. Holte eine der Pistolen noch einmal aus dem Beutel. Ließ das Magazin herausschnappen, zog den Schlitten durch und steckte das Magazin wieder zurück in den Schacht. Sobald sie einen Augenblick Zeit hatte, wollte sie die Waffen auseinandernehmen, wieder zusammensetzen und laden, aber im Moment musste es so gehen.
»Ich bin eine Frau«, sagte sie.
Sie schob die Jericho unter ihre Jacke und steckte sie hinten in den Hosenbund.
Der Mann mit der Schürze sagte: »Verstehe« und deutete zur Tür. »Viele Fragen, aber keine Zeit.« Sie folgte ihm nach draußen.
»Ich suche noch ein Bekleidungsgeschäft«, sagte sie. »Nicht direkt an der U -Bahn. Muss auch nicht groß sein.«
Sie gingen durch die Schwingtür zurück in das Café.
»Wenn ihr auf die Straße kommt, biegt ihr nach rechts ab, und dann immer geradeaus«, sagte er.
»Höchstwahrscheinlich wird gleich jemand hier auftauchen und nach mir suchen«, sagte sie. »Es tut mir wirklich leid.«
Er lächelte. Es war seine erste spontane Reaktion überhaupt. »Da mache ich mir keine Sorgen. Könnte sogar sein, dass das ganz gut ist.«
Neeva saß immer noch an ihrem Tischchen und löffelte Schokoladeneis aus einem großen, halb vollen Becher.
»Nimm es mit«, sagte Munroe. »Wir müssen los.«
Neeva nahm den Becher in die Hand und stand auf, verharrte aber mitten in der Bewegung. »Der ist nicht zum Mitnehmen«, sagte sie. Munroe packte sie am Ellbogen und zog sie mit sich, sodass sie keine andere Wahl hatte.
»Egal, nimm ihn einfach mit. Wir haben keine Zeit mehr.«
Neeva stellte den Becher auf den Tisch und folgte Munroe mit gesenktem Haupt und ohne zu protestieren zur Tür. Dort reihte Munroe sich, nach einem kurzen Blick links und rechts die Straße entlang, wieder in den Fußgängerstrom ein.
»Warum sind wir eigentlich da reingegangen?«, wollte Neeva wissen. »Zum Essen jedenfalls nicht.«
»Geld«, erwiderte Munroe. »Optionen.« Dabei beließ sie es.
Sie mussten sich beeilen, um diesem Aufenthalt noch etliche weitere hinzuzufügen, damit Lumani gezwungen war, jeder einzelnen Spur nachzugehen. Er wusste ja, dass sie irgendetwas vorhatte, und musste versuchen, die Puzzleteile so zusammenzusetzen, dass er ihr
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