Mission Munroe 03 - Die Geisel
sicherzustellen, dass Neeva wirklich allein war, hätte Munroe ihn mittlerweile entdeckt.
Die Stille, die Erschöpfung, Lumanis Fernbleiben und die Konzentration auf die Straße und die Menschen dort nahmen sie so in Beschlag, dass sie die Anzeichen beinahe nicht bemerkt hätte. Sie hörte nichts, sah nicht, wie er von hinten durch den Schatten geschlichen kam, bis es beinahe zu spät war.
Sie drehte sich um. Erhaschte einen flüchtigen Blick. Auf ihn. Auf seine Pistole.
Erschöpfung wandelte sich in Energie. Schwäche in Stärke.
Er war immer noch so weit entfernt, dass ein Treffer nicht garantiert war.
Als sie sich umdrehte, blieb er ruckartig stehen. Zog die Waffe, genau wie sie. Schoss. Die Kugel traf sie in die Brust. Rückwärts wurde sie zu Boden geschleudert. Als er näher kam, um noch einmal zu schießen, zielte sie mit dem Laserpunkt auf seinen Hals.
Drückte ab.
Die Hochspannung ließ ihn zuckend zusammenbrechen.
Munroe hatte Schmerzen und konnte kaum atmen, doch sie zwang sich aufzustehen und ging zu ihm. Beförderte seine Pistole mit einem Fußtritt außer Reichweite – ebenfalls eine H & K USP Tactical, wie bei Tamás und Arben. Sie ließ den Elektroschocker los und drückte Lumani die Jericho an die Schläfe.
Einen Stiefel auf seine Brust gestellt tastete sie ihn mit der freien Hand ab. Sie suchte die Spritze, die er garantiert bei sich trug. Fand sie. Rammte ihm die Nadel in den Oberschenkel. Wartete ab, bis seine Augen zufielen und sein Kiefer erschlaffte. Versetzte ihm einen Faustschlag, um wirklich sicher zu sein. Das Betäubungsmittel war für Neeva gedacht gewesen, und er wog fast doppelt so viel wie sie, aber das interessierte sie im Moment einen Scheißdreck.
Auf der anderen Straßenseite hatten ein paar Passanten die Szene beobachtet. Munroe bedeutete ihnen weiterzugehen: »Eine offizielle Angelegenheit«, sagte sie, und tatsächlich, ob sie ihr nun glaubten oder nicht, sie gingen weiter. Es lag in der Natur des Menschen, Komplikationen zu vermeiden, sich nicht in irgendetwas verstricken zu lassen, sich die Probleme der anderen nicht zu eigen zu machen. Dadurch waren sie leicht zu lenken.
Munroe rief Neevas Namen, aber es brauchte mehrere Versuche, jeder lauter als der vorherige, bis die junge Frau endlich reagierte. Neeva hatte sich, wie Munroe zuvor, so sehr darauf konzentriert, sich natürlich zu benehmen, so zu tun, als würde sie etwas essen, und gleichzeitig die Passanten zu beobachten, dass sie alle anderen Geräusche ausgeblendet hatte. Als sie Munroes Rufe schließlich wahrnahm, legte sie Geld auf den Tisch, griff nach den Taschen und kam näher. Sie sah Lumani auf dem Boden liegen und lächelte. Hatte keine Ahnung, dass Munroes Unaufmerksamkeit sie an den Rand einer Katastrophe gebracht hatte.
Munroe blinzelte gegen die Erschöpfung an. Sie musste unbedingt schlafen.
Bald. Fast. Noch eine Stunde, allerhöchstens, dann konnte sie sich fallen lassen.
Sie lächelte Neeva angestrengt an. »Gut gemacht«, sagte sie und wählte die Nummer des Taxifahrers.
Es war ein unverhofftes Geschenk, dass Lumani keine Gelegenheit bekommen hatte, Neeva zu betäuben. Sie nahmen ihn in die Mitte, den einen Arm um Munroes Schulter und den anderen mehr oder weniger auf Neevas Kopf gelegt, und schleppten ihn zum Bordstein. Zu den wenigen Passanten, die neugierig stehen blieben, sagte Munroe: »Zu viel Wein«, und erntete damit jedes Mal ein Kichern.
Als sie im Taxi saßen, gab Munroe dem Fahrer die eine Hälfte des Geldscheinbündels und sagte: »Den Rest kriegen Sie, sobald wir beim Hotel sind.« Dann wandte sie sich auf Englisch an Neeva: »Wir müssen ihn nackt ausziehen.«
Als sie vor dem Hotel ankamen, hatten sie Lumani in einer ziemlich komplizierten Aktion auf der schmalen Rückbank einmal komplett entkleidet und ihm Hemd und Hose wieder angezogen, nachdem Munroe sie gründlich untersucht und festgestellt hatte, dass sie keine Peilsender enthielten. Schuhe, Jacke, Gürtel und alles andere, was er angehabt und bei sich getragen hatte, hatte sie zusammengeknüllt und unterwegs in einen Mülleimer geworfen.
Der Fahrer hatte noch einen Stapel Geldscheine bekommen und befolgte bereitwillig und ohne zu fragen jede Richtungsänderung, jede Kehrtwendung, die sie ihm auftrug. Ziellos fuhren sie durch die Straßen. Hielten an und warteten. Fuhren in Parkhäuser und warteten noch länger. Munroe ging zwar davon aus, dass sie beschattet wurden, aber sie konnte keinen Hinweis darauf entdecken.
Weitere Kostenlose Bücher