Mission Munroe 03 - Die Geisel
ignoriert und sämtliche Anzeichen übersehen, und das irritierte sie mehr als alles andere. Sie sah auch in Neevas Mund nach, ob sie dort womöglich weitere Waffen versteckt hatte. Vielleicht hatte sie sich von der Schauspielerin blenden lassen, die ihre Rolle gespielt hatte, ähnlich wie Munroe selbst, wenn sie ihre Chamäleon-Gabe einsetzte und zu dem wurde, was die Menschen in ihr sehen wollten, um das zu bekommen, was sie haben wollte.
Nachdem sie nichts weiter gefunden hatte, legte Munroe die Fingerspitzen an das Kinn des Mädchens und hob seinen Kopf an, um die Spuren zu betrachten, die der wenige Sekunden dauernde Würgegriff am Hals hinterlassen hatte. Neeva leistete keinen Widerstand.
Im Moment waren keine äußeren Spuren sichtbar. Mit etwas Glück würde es auch so bleiben.
»Ich mache dich jetzt los«, sagte Munroe. »Wenn du auch nur den kleinen Finger rührst, landen wir sofort wieder auf der Matratze. Ich glaube kaum, dass dir das besonders viel Spaß machen würde.«
Neeva wich ihrem Blick aus, starrte einfach nur geradeaus, mit mahlenden Kiefern, als wollte sie Munroe jeden Augenblick anspucken. Munroe sagte: »Ich werde mein Möglichstes tun, um dir nicht wehzutun. Ich beschütze dich, so gut es nur geht, also sieh zu, dass ich es nicht bereue.« Dann kniete sie sich nieder, um Neevas Fußfessel zu lösen.
Die beiden Stahlbügel klappten auseinander, und Munroe drückte auf Neevas Fuß. »Stillhalten«, sagte sie. Sie tastete die Stelle, die von der Fessel umschlossen gewesen war, sorgfältig ab. »Tut das weh?«
Über zwei Wochen dauerte Neevas Gefangenschaft inzwischen – mehr als genug Zeit, um sich durch ständiges Ziehen und Zerren blaue Flecken, Schnittwunden oder andere Verletzungen zuzufügen. Verletzungen, für die Munroe zwar überhaupt nichts konnte, für die sie aber dennoch verantwortlich gemacht werden würde.
»Ein bisschen gereizt ist es schon«, flüsterte Neeva, »aber es tut nicht richtig weh.«
Munroe drückte noch einmal darauf, wollte sehen, ob sie vielleicht zuckte oder das Gesicht verzog, aber als nichts dergleichen geschah, stand sie auf. Die Gummipolsterung schien ihren Zweck erfüllt zu haben. Der Puppenmacher hatte ja gesagt, dass Neeva nicht die Erste war, die zu solch seltsamen Bedingungen geliefert werden musste. Er hatte ausreichend Übung und wusste, wie er seine Ware vor Schaden bewahren konnte.
Munroe nahm den Rucksack und zog Neeva am Ellbogen hinaus in den Flur. Das Mädchen leistete keinen Widerstand, auch wenn es sein Gefängnis nur zögerlich verließ. Was nur allzu verständlich war. Das war eine Welt, die Neeva zu verstehen gelernt hatte, in der sie sich einigermaßen zurechtfand. Und der Teufel, den man kannte, war immer besser als der, der auf einen wartete.
Vor der Treppe, die hinauf ins Erdgeschoss führte, hatte sich Arben aufgebaut. Bei seinem Anblick verkrampfte sich Neeva. Ohne den Druck auf ihren Ellbogen zu verringern, sagte Munroe: »Kennst du den?«
Neeva nickte.
»Er kann kein Englisch«, sagte Munroe.
Neeva antwortete mit einem lauten Räuspern. »Das ist der, der am häufigsten bei mir in der Zelle war.«
»Solange ich dabei bin, wird er dir nichts tun.«
Neevas Widerstand wurde ein wenig schwächer, und Munroe schob sie vorwärts, an Arben vorbei, der sich demonstrativ nicht von der Stelle rührte, sodass sie sich einzeln an ihm vorbeiquetschen mussten. Er betatschte Neeva aufdringlich, und sie wich sofort zurück.
Die Regeln besagten zwar, dass sie nicht verletzt werden durfte, aber ansonsten hatte niemand diesem Kerl irgendwelche Beschränkungen auferlegt. Irgendwann jedoch würde die Gelegenheit kommen, und wenn es so weit war, würde Munroe sie beim Schopfe packen, und Arben würde sterben.
Neeva ging die Treppe hinauf, und Munroe folgte ihr.
Kaum waren sie an Arben vorbei, kam er ihnen nach, dicht, viel zu dicht. Munroe spürte seine Hitze an ihrer Wirbelsäule, spürte, wie er ihr in den Nacken kroch, während sie die Treppe nach oben stieg und schließlich in den Saal mit den Goldschmieden gelangte.
Neeva schlurfte mit steifen, ungelenken Schritten vorwärts. Dabei drehte sie den Kopf in alle Richtungen, fast so, als ob sie zum ersten Mal im Leben andere Menschen zu Gesicht bekam. Munroe hatte es nicht eilig und ließ ihr Zeit.
Dann wurden sie von hinten vorwärtsgestoßen. Arben war zunächst stehen geblieben, um die Stahltür zu schließen und zu verriegeln – das erste Mal überhaupt, dass Munroe mitbekam, wie
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