Mission Munroe 03 - Die Geisel
und zu unterbrochen von altertümlichen Toren, hinter denen sich vermutlich ähnliche Innenhöfe verbargen.
Links und rechts des Torbogens befand sich je ein Schmuckgeschäft, in deren Schaufenstern den Passanten Goldschmiedearbeiten präsentiert wurden – beides Bestandteile der ehrbaren Fassade des Puppenmachers. Munroe ging davon aus, dass ihm auch die beiden Häuser links und rechts des nur durch das Tor zugänglichen Innenhofs gehörten. Eine perfekte Tarnung für seine Transporte. Alles, was sich innerhalb des Tores abspielte, war für niemanden sonst zu sehen.
Sobald sie losgefahren war, sobald sie das Haus, Lumani und die anderen Wahnsinnigen hinter sich gelassen hatte, nahm Munroe das Handy in die Hand, das ihr der Puppenmacher gegeben hatte, und schaltete es ein. Neeva neigte den Kopf nach rechts und schloss die Augen.
Munroes Blicke wanderten abwechselnd zwischen der Straße und dem Handy-Display hin und her. Sie fuhr und las nebenbei die zahlreichen SMS -Nachrichten, die ihr Stück für Stück den Weg weisen sollten.
Die Fahrt von Zagreb nach Ljubljana hätte eigentlich eine klare Angelegenheit sein können – beginnend in der einen Hauptstadt, über gut ausgebaute Straßen, durch grüne Wälder, über die Grenze und schließlich endend in der nächsten Hauptstadt. Jeder vernünftige Mensch hätte dafür – ohne die Grenz-und Zollformalitäten – nicht länger als zwei Stunden gebraucht. Aber so wie die gesamten letzten Tage an die düsteren Wahnvorstellungen eines paranoiden Irren erinnert hatten, so verhielt es sich auch jetzt mit der Streckenführung des Puppenmachers. Munroe wurde kreuz und quer durch das Land geschickt, über kleine Nebenstraßen und durch abgelegene Siedlungen zwischen gepflegten Feldern und abgeschiedenen Bauernhöfen mit Wäscheleinen, geharkten Gärten und Fenstergeranien.
Der Puppenmacher hatte sich nicht dazu geäußert, weshalb der gerade Weg über die Grenze nicht in Frage kam, aber der Grund war nicht allzu schwer zu erraten. Slowenien war einer von einundzwanzig Staaten innerhalb der Europäischen Union, die das Schengener Abkommen unterzeichnet hatten. Innerhalb dieser Länder fanden praktisch keine Einreisekontrollen mehr statt. Kroatien hingegen gehörte nicht dazu.
Die Grenzposten innerhalb der Schengen-Zone waren nur selten besetzt. In manchen Fällen merkte man nur noch als Ortskundiger oder an der anderen Sprache auf den Straßenschildern, dass man von einem Land ins andere gewechselt hatte. Innerhalb der Schengen-Zone gab es keine Visa oder Reisepässe mehr, keine Zollprozeduren und Warteschlangen vor uniformierten Offiziellen, die die Macht besaßen, die Einreise zu verweigern. Aber aus einem Nicht-Schengen-Land in ein Schengen-Land einzureisen, das war etwas vollkommen anderes, vergleichbar vielleicht einer Grenzüberquerung zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten.
Slowenien lag, wie Ungarn, die Slowakei oder Polen, am Rand der Schengen-Zone. Ihre Grenzen bildeten die Grenzen des gesamten Verbundes, weshalb bei ihnen auch die gesamte Verantwortung lag. Hier mussten die Illegalen vom Rest getrennt werden.
Nachdem Munroe eine weitere Adresse erhalten und ins Navi eingegeben hatte, steckte sie das Handy in die dafür vorgesehene Halterung am Armaturenbrett und zog den Rucksack vom Rücksitz nach vorne, um die Landkarte herauszuholen. Nachdem sie eine Weile gesucht hatte und ihre Blicke immer wieder zwischen Straße und Karte hin und her gewandert waren, hatte sie gefunden, was sie suchte.
Sie würden bei Krasinec die Grenze zu Slowenien überfahren. Das kleine Dörfchen, kaum ein Fleck auf der Landkarte, lag südlich von Metlika, das auch kaum groß genug war, um als Städtchen durchzugehen. Das bedeutete, dass sie einen einsam und isoliert gelegenen Grenzübergang ansteuerten. Einen Übergang, der im Prinzip nur für Einheimische gedacht war, die diesseits und jenseits der Grenze wohnten und die auch die entsprechenden Kennzeichen oder Vignetten besaßen.
Das Handy klingelte.
Munroe blieb an einer nicht gekennzeichneten Kreuzung stehen, warf einen Blick auf das Navigationsgerät und nahm das Gespräch an. Lumani sagte: »Such dir eine Stelle, wo du anhalten kannst, ein bisschen abseits nach Möglichkeit, und warte, bis ich wieder anrufe.«
»Wieso?«
»Dass ich es gesagt habe, sollte eigentlich Grund genug sein.«
»Ist es nicht.«
»Du hast keine andere Wahl.«
»Da täuschst du dich aber gewaltig«, erwiderte sie. »Jeder Kilometer, den ich
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