Mission Munroe. Die Sekte
Wohnzimmer sich leerte.
Über ein Dutzend Leute, überwiegend Teenager wie Hannah, aber auch einige wenige Erwachsene, traten vor das Schwarze Brett. Wie Hannah waren sie alle für wechselnde
Dienste eingeteilt, und sie wollten nun wissen, was sie heute zu tun hatten. Hannah wusste zwar schon Bescheid, schloss sich aber trotzdem an und begab sich nach einem angemessen langen Blick auf den Dienstplan in die Küche, wo die Vorbereitungen für das Mittagessen bald in vollem Gang sein würden.
Am Nachmittag entstand dann eine Lücke. Hezekiah, der Küchenchef, genehmigte ihr eine Viertelstunde Pause, bevor sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen anfangen mussten. Sie mochte Onkel Hez, weil er die Regeln nicht so ernst nahm und nicht ganz so streng war wie die meisten Erwachsenen. Solange man hart arbeitete und sich nicht respektlos benahm, war ihm eigentlich alles andere egal. Manchmal machte er sogar ein paar Witze.
Hannah kannte den Dienstplan, wusste, dass Rachel mit ihrer Gruppe jetzt draußen war. Das war zwar nicht so gut wie im Spielzimmer, wo niemand vorbeikommen und sie reden sehen würde, aber eine bessere Gelegenheit würde sie nicht bekommen. Solange sich niemand allzu sehr für sie interessierte und solange weder Hannah noch Rachel den Führern etwas berichteten, dürfte es eigentlich keine Probleme geben.
Rachel saß auf einer improvisierten Bank. Ganz in der Nähe waren die sechs Kleinen beim Spielen, während Mercy, Rachels elfjährige Helferin, auf sie aufpasste.
Als Hannah näher kam, rutschte Rachel ein Stück zur Seite, um ihr Platz zu machen, sagte aber nichts. So war es immer, wenn man Ärger bekommen hatte und getrennt wurde – man wusste nie so recht, wie man den Faden wieder aufnehmen sollte.
Hannah setzte sich neben Rachel, die weiterhin kein Wort sagte. Deshalb sah Hannah zu, wie Mercy mit zwei
kleinen Kindern spielte. Die Zehn- bis Zwölfjährigen hatten es so viel besser als die, die dreizehn und älter waren – sie mussten nur halbe Tage arbeiten, durften nach dem Abendessen ihre Eltern sehen und, was das Beste war, hatten jeden Tag ein paar Stunden Schule. Hannah sehnte sich nach der Schule, meistens jedenfalls. Sie hätte so gerne gewusst, wie Bruchrechnen funktionierte.
Mercy rückte ein wenig dichter an die Bank heran, und Hannah konnte ihr ansehen, dass sie neugierig war und gerne gewusst hätte, warum sie hergekommen war. Obwohl Hannah ihre Worte sehr sorgfältig wählte, wollte sie trotzdem nicht, dass Mercy sie verstehen konnte, darum sagte sie nur hastig und leise: »Hat er dir wehgetan?«
Rachel hob nicht den Kopf, aber nach einer Weile nickte sie. Das Gute war, dass Hannah etwas erfahren hatte, ohne eine Regel zu brechen. Sie brauchten auch nicht weiter ins Detail zu gehen. Sie wussten beide genau, worüber sie sprachen.
Aber es wäre zu riskant gewesen, noch mehr zu sagen, ohne dass Rachel ihrerseits etwas dazu beitrug. Hannah wartete ab, doch Rachel blieb stumm, und so dauerte es nicht lang, bis Mercy wie eine neugierige Lauscherin direkt neben der Bank kauerte, um möglichst jedes Wort aufzuschnappen.
Hannahs Zeit war um, und es hatte so gut wie nichts gebracht, bis auf die Tatsache, dass sie nun wusste, dass sie nicht die Einzige war – aber weil Rachel so still gewesen war, machte sie sich ein bisschen Sorgen. Womöglich würde sie den Führern etwas verraten. Mit flauem Magen ging Hannah in die Küche zurück, und da ihre Hände auch ohne allzu viel Nachdenken arbeiten konnten und Hez nichts sagen würde, solange sie nicht langsamer wurde,
ließ sie ihren Gedanken während des restlichen Nachmittags einfach freien Lauf.
Es war spät am Abend, als Onkel Elijah sie abholte.
Er streckte den Kopf zum Mädchenzimmer herein und sagte, dass sie kurz mitkommen sollte. Er müsse etwas mit ihr besprechen, sagte er, und das reichte schon. Hannah hatte das Gefühl, als müsste sie sich gleich übergeben. Wenn es etwas zu besprechen gab, konnte das nichts Gutes bedeuten.
Sie war vorsichtig gewesen, und rein formal betrachtet hatte sie nicht gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen, aber letztendlich zählte das alles nichts, weil Rachel sie allem Anschein nach verpetzt hatte, und Hannah konnte ja nicht wissen, ob sie ihnen die Wahrheit gesagt hatte oder nicht.
Elijah brachte Hannah in sein kleines Büro, hängte ein Schild an die Klinke und schloss die Tür. Das war noch schlimmer. Elijah war der oberste Leiter der Oase. Wenn er »Bitte nicht stören« sagte,
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