Mission Munroe. Die Sekte
Kompliment kurz auf sich wirken, fragte sich, ob es sich um eine gezielte Schmeichelei gehandelt haben könnte, erkannte aber nur Aufrichtigkeit und erwiderte: »Da gibt es nicht viel zu beneiden. Manchmal ist mir der Preis zu hoch.«
Heidi holte ein Buch aus ihrer Handtasche und klappte es auf. »Logan hat erzählt, dass du in einer Missionarsfamilie groß geworden bist, also so ähnlich wie wir.«
Munroe nickte. »Geboren bin ich in Kamerun. Westafrika.«
»Hast du deswegen einen Männernamen?«
»In gewisser Hinsicht, ja«, erwiderte Munroe. »Als ich siebzehn war, habe ich jemanden bestochen, der mich dann auf einen Frachter nach Europa geschafft hat. Ich wollte keine Schwierigkeiten bekommen, weil ich eine Frau bin, deshalb habe ich mir die Haare abgeschnitten, die Brust umwickelt und Jungensachen getragen. Dann brauchte ich noch einen Namen, der dazu passt, und da ist mir eben Michael eingefallen.«
»Hat es geklappt?«
»Das mit dem Namen?«
»Mit dem Aussehen.«
Munroe blickte Heidi von der Seite her an. »Wenn ich das jetzt noch mal machen würde, würdest du locker drauf reinfallen.«
Heidi zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. Munroe konnte es ihr nicht verübeln. Man musste es sehen, um es glauben zu können.
»Und warum ausgerechnet Michael?«, fragte Heidi.
Munroe erwiderte: »Irgendwie schien es mir passend. In der Bibel war Michal die Frau von König David, und sie konnte keine Kinder bekommen.«
Heidi grinste. Die Bibel war vertrautes Gelände. »Aber die Schreibweise war anders«, sagte sie.
Munroe nickte. »Und sie hat Frauenkleider getragen.«
»Genau wie du. Also wozu der Männername?«
»Ich trage öfter Männer- als Frauenkleidung«, sagte Munroe. »Bei der Arbeit habe ich regelmäßig in ziemlich miesen Gegenden zu tun. Da kann ich – ähnlich wie damals, als ich diesen Frachter bestiegen habe – meine Aufträge leichter erledigen, wenn ich ein Mann bin. Meine Kunden rechnen auch nicht damit, dass ich eine Frau bin, also hat der Name sich ganz automatisch angeboten, und ich habe ihn behalten.«
»Und wie heißt du richtig?«
Begleitet von einem breiten Grinsen sagte Munroe: »Vanessa.«
Heidi rückte näher, als wollte sie Munroe ein Geheimnis anvertrauen. »Ich heiße ja eigentlich Bathsheba«, flüsterte sie. »Aber ich hasse diesen Namen so sehr, dass ich ihn offiziell geändert habe, nachdem ich die ERWÄHLTEN verlassen hatte. Jetzt ist mein zweiter Vorname mein erster.«
»Michael und Bathsheba«, sagte Munroe. »Wir sollten uns einen David suchen.«
Heidi wandte sich lachend ihrem Buch zu, während Munroe die Papiere in die Hand nahm. Sie löste eine Büroklammer, blätterte die Seiten durch und versank in ihrer Lektüre.
In der Welt der Informationsbeschaffung war größte Sorgfalt absolut lebenswichtig. Mutmaßungen und Ahnungen, die in einer gewissen Vertrautheit wurzelten, konnten etwas sehr Trügerisches sein. Es machte einen gewaltigen Unterschied, ob man sich darauf vorbereitete, eine Gruppe zu unterwandern und ein Kind zu entführen, oder ob man
sich bei Bier und Billard ein paar Ausschnitte aus Logans Leben zu Gemüte führte.
Die Herausforderung dieses speziellen Auftrags bestand darin, sämtliche Voreingenommenheit abzustreifen und all das, was sie zu wissen glaubte, durch das zu ersetzen, was sie wissen musste. Diese Dokumente, allesamt Hintergrundinformationen über den PROPHETEN und die ERWÄHLTEN , waren ein entscheidender Baustein, um zu verstehen.
Sie hielt einen Textmarker in der Hand, hatte einen Notizblock bereitgelegt und nahm den Start mit dem obligatorischen Stellen Sie Ihre Sitzlehnen aufrecht nur sehr entfernt wahr. Stunden vergingen, bis sie sich endlich zurücklehnte, sich ausgiebig streckte und dabei feststellte, dass Heidi sie beobachtete.
Munroe ignorierte das offenkundige Interesse ihrer Sitznachbarin, zeichnete Kreise und Schaubilder auf das vor ihr liegende Blatt. Dann ließ sie den Stift sinken. Heidi sagte : »Das ist eine Menge Material – du liest sehr schnell.«
»Das ist der erste Durchgang«, erwiderte Munroe. »Da stelle ich Verbindungen her, baue ein Gerüst. Wenn man so etwas auf den letzten Drücker macht, während man schon im Flugzeug sitzt, kann man leicht etwas Entscheidendes übersehen. Deswegen wollte ich neben dir sitzen. Du kannst mir noch eine Menge sagen, was hier gar nicht erwähnt wird.«
Wie nicht anders zu erwarten, reagierte Heidi erleichtert. Munroe fuhr fort: »War das bei dir auch so? Dass
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