Mission Munroe. Die Sekte
waren Bradford und Heidi offensichtlich in ein intimes Gespräch vertieft. Sie hatten die Köpfe dicht zusammengesteckt, sahen einander ununterbrochen in die Augen, und Heidis Wangen waren stark gerötet, sehr viel mehr als vorhin.
Es war schwer, Heidi nicht zu mögen.
Munroe verlangsamte ihre Schritte. Sie spürte ein heißes Brennen im Gesicht. Die Café-Umgebung verschwamm vor ihren Augen. Eine unwillkürliche Reaktion, die sie selbst überraschte. In Millisekunden-Intervallen musterte sie Bradford. Musterte Heidi. Und konzentrierte sich dann ganz auf sich selbst.
Solange sie an einem Auftrag arbeitete, konnten Gefühle lebensgefährlich sein. Für sie selbst und für andere. Sie schob ihre Emotionen beiseite. Jeder Schritt, der sie dem Tisch näher brachte, war eine bewusste Abgrenzung gegen das Herzrasen, eine schrittweise Wiedererlangung ihrer absoluten Konzentration auf die vor ihr liegenden Aufgaben. Sobald sie und Logan bei den beiden anderen angelangt waren, war es, als hätte es diesen Augenblick niemals gegeben.
Der Abschied fiel kurz und knapp aus, die Versprechungen spärlich. Schweigend traten sie den Rückweg zum Hotel an.
Für Munroe war die Fahrt eine Auszeit, um den Wechsel von einer Rolle zurück in die andere zu vollziehen, und Bradford, der wusste, wie sie arbeitete, ließ ihr den Raum, den sie brauchte.
Es war später Nachmittag, als Munroe sich der Oase-Ranch näherte. Die Wolken hatten sich etwas gelichtet, vereinzelte Sonnenstrahlen schufen zumindest die Illusion
von Wärme. Sie ließ den Peugeot vor dem Tor ausrollen, stieg aus, um auf den Klingelknopf zu drücken, setzte sich dann wieder ins Auto und wartete. Es sprach alles dafür, dass sie ohne Probleme eingelassen werden würde.
Dieses Mal machte sich nicht Esteban auf den langen Fußweg zum Tor, sondern ein Junge im Teenageralter. Sie schätzte ihn auf fünfzehn oder sechzehn Jahre, immer noch in dieser unsicheren Phase zwischen Kind und Mann, mit viel zu langen Gliedmaßen und viel zu vielen Pickeln.
Nachdem er das Tor weit geöffnet hatte, machte Munroe das Fenster auf und ließ den Wagen wenige Meter vorwärtsgleiten.
»Ich bin Miki«, sagte sie.
Er gab keine Antwort, sondern nickte nur und warf ihr einen scheuen Blick zu.
»Ich kann dich bis zum Haus mitnehmen«, sagte sie, »und dir den kalten Rückweg ersparen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ist schon okay«, sagte er.
Seine Reaktion war ein guter Maßstab. Sie vertrauten ihr immerhin so weit, dass sie einen Jugendlichen geschickt hatten, aber nicht so weit, dass sie ihm erlaubt hätten, mit ihr mitzufahren.
Munroe stellte den Wagen auf demselben Parkplatz ab wie beim letzten Besuch. Heute jedoch war ihr Auto das einzige. Sie stieg aus und wartete. Als der Junge näher kam, streckte sie ihm die Hand entgegen. »Ich habe deinen Namen nicht richtig verstanden«, sagte sie.
Er stockte kurz, dann ergriff er ihre Hand. Es war ihm anzumerken, dass er so etwas nicht jeden Tag machte. »Ich heiße Dust«, sagte er. Bis jetzt hatten sie sich auf Spanisch unterhalten. Das englische Wort bildete einen auffälligen Gegensatz dazu.
Dust als Abkürzung für Dustin oder Dust für Staub? Angesichts der Namen der anderen ERWÄHLTEN , die sie bis jetzt kennengelernt hatte, tippte Munroe eher auf Staub.
»Ist Esteban hier?«, fragte sie.
Dust schüttelte den Kopf, und da sie nicht wollte, dass er sich noch unwohler fühlte, folgte Munroe ihm schweigend in den Alkoven, in dem sie schon am Vortag gesessen hatte.
»Elijah lässt Ihnen ausrichten, dass er in ein, zwei Minuten bei Ihnen ist«, sagte der Junge.
Das war der längste Satz, den er bislang von sich gegeben hatte, und obwohl sein skandinavisches Äußeres verriet, dass er nicht von hier stammte, sprach er mit einem deutlich erkennbaren, lokalen Akzent. Er lebte schon eine ganze Weile in Argentinien.
Diese Gegensätzlichkeit war zumindest zum Teil genau das, was die ERWÄHLTEN ausmachte. Die Gruppe bestand nicht aus Argentiniern, ja, nicht einmal überwiegend aus Amerikanern. Die Menschen waren vielmehr eine bunte Mischung aus verschiedensten Rassen und Lebensweisen, die allesamt in der Kultur des PROPHETEN aufgingen. Von Rumänien bis Simbabwe, von Chile bis Finnland, die ERWÄHLTEN bestanden aus verschiedenen Gesichtern, aus verschiedenen Oasen, aus Tarnorganisationen mit zahllosen verschiedenen Namen, aber hinter verschlossenen Türen wurden sie alle durch ein und denselben Lebensstil geeint: die Kultur des PROPHETEN
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