Mission Munroe. Die Sekte
Fuß eine Milonga auf, eines der zahlreichen Tango-Lokale der Stadt. Es ging auf Mitternacht zu, war also für hiesige Verhältnisse noch relativ früh. Der Laden war halb leer, und sie fanden ohne Mühe einen Tisch am Rand, neben anderen, die auch zu zweit gekommen waren. Hier, in diesem engen, verrauchten, dunklen, lauten Musikschuppen konnten sie sich ungestört unterhalten, während sie den Paaren zusahen, die auf der großen Tanzfläche ihr Können unter Beweis stellten.
Bei Drinks und ein paar leichten Kleinigkeiten zum Essen berichtete Munroe von den Ereignissen des Tages und machte Bradford mit ihren grundsätzlichen Erkenntnissen und der Gebäudeeinteilung, wie sie sie bis jetzt kannte, vertraut. Sie diskutierten verschiedene Strategien und Optionen. Eine nächtliche Entführung kam theoretisch ebenso in Frage wie eine Aktion auf offener Straße, bei der sie einen Kleinbus mit einem Peilsender versahen und Hannah schnappten, wenn die ERWÄHLTEN ihre Mitglieder irgendwo zum Betteln abluden. Aber jede Option war auch mit zahlreichen Unwägbarkeiten und Komplikationen verknüpft. Sie diskutierten das Pro und das Contra und stellten sich zunächst einmal auf beide Eventualitäten ein.
Bradford würde sich, wie von Anfang an geplant, im Hintergrund halten und für die nötige Logistik, für Nachschub und Unterstützung sorgen. Was genau er besorgen musste, hing von Munroes Rechercheergebnissen ab. Er erläuterte ihr, was alles berücksichtigt werden musste, um Hannah sicher über die Grenze zu bringen.
»Ich überlege, ob ich Logan einweihen soll«, sagte Munroe. »Ich könnte ihm zumindest sagen, dass wir Hannahs Aufenthaltsort gefunden haben.«
»Jeder Mitwisser bringt uns potenziell zusätzliche Probleme.«
Sie nickte. Sie konnte seine Bedenken teilen, auch wenn sie sich womöglich trotzdem dazu entschloss.
Bradford fuhr fort: »Ich habe übrigens mit Logan telefoniert, kurz bevor du zurückgekommen bist. Er will unbedingt mit dir sprechen. Es geht um Gideon.«
Der Name Gideon brachte ein paar weitere Fragen ins Spiel. Jetzt, wo sie so dicht an Hannah herangekommen waren, konnten sie beim besten Willen keinen wild gewordenen Stier in ihrer Nähe gebrauchen. Alles, was Logan dazu sagen konnte, war also von größter Wichtigkeit.
Munroe sah auf ihre Armbanduhr. »Was macht Logan denn zurzeit? Meinst du, dass er noch wach ist?«
»Selbst wenn er schon schläft, ich kann ihn ja anrufen«, sagte Bradford. »Ich habe ihm ein Handy gegeben.«
Sie fuhr mit der Fingerspitze über den Rand ihres Glases. »Könntest du ihn vielleicht hierherbitten?«
Er nickte und stand auf. »Ich suche mir mal ein ruhigeres Plätzchen. Bin gleich wieder da.«
Als er zurückkam, sagte er: »Er ist schon unterwegs. Eine halbe Stunde, höchstens.« Munroe ließ endlich dem Grinsen freien Lauf, das sie seit geraumer Zeit unterdrückt hatte.
»Da sitzen ein paar Frauen, die dich schon die ganze Zeit anstarren«, sagte sie, und dann neckisch: »Warum tanzt du denn nicht?«
Bradford hielt inne und folgte ihrem Blick bis zu einem Tisch, der mit drei Frauen besetzt war. Langsam fing er an
zu grinsen und sagte mit scheuem Augenaufschlag: »Vielleicht mache ich das ja.«
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er die Herausforderung annahm, doch dann, ohne das geringste Zögern, suchte er den Blickkontakt mit einer langhaarigen Brünetten und machte die Geste des Cabezazo , das aufwärtsgerichtete Kopfnicken der Einheimischen. Die Frau lächelte, erwiderte die Aufforderung, worauf Bradford sich erhob und zu ihr ging.
Munroe hatte die Frau im Verlauf des Abends schon beobachtet, hatte gesehen, wie gut sie tanzte, und war sich sicher, dass Bradford das ebenfalls mitbekommen haben musste. Sie fragte sich, wie das gehen sollte, wie peinlich die Angelegenheit wohl werden würde … aber nur bis zu dem Augenblick, als Bradford die Tanzfläche betrat.
Der Anblick, der sich ihr bot, war so voller Poesie und Anmut, dass ihr der Mund offen stehen blieb, wenn auch nur ein kleines Stück. Der Mann konnte tanzen, wirklich tanzen, und versprühte dabei ein Gefühl für Rhythmus und Dramatik, das sie bei diesem wackeren Kämpfer mit dem lässigen Selbstbewusstsein bisher noch nie festgestellt hatte.
Am Ende des Sets unterhielt er sich noch lange genug mit seiner neuen Bekanntschaft, um nicht unhöflich zu erscheinen. Die Qualen, verursacht durch gebrochenes Englisch und gebrochenes Spanisch, waren ihnen deutlich anzusehen. Schließlich, nachdem
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