Mission Munroe. Die Sekte
wartete, dass die nächste Gruppe das Foyer betrat.
Nach zehn Minuten war es so weit. Dieses Mal waren die Kinder jünger, noch nicht im Teenageralter, und es waren beinahe ebenso viele Erwachsene wie Kinder dabei. Unmittelbar danach kam eine weitere Gruppe herein und verteilte sich, wie die beiden vorherigen, im Haus. Einige gingen die breite Treppe hinauf, während andere durch die Hintertür den Anbau ansteuerten.
Mit jeder Gruppe stieg der Lärmpegel. Im Treppenhaus brummte es wie in einem Bienenstock, und die Hintertür stand nicht mehr still, während im Haupthaus ein ständiges Kommen und Gehen herrschte.
Wenn Munroe richtig gerechnet hatte, waren immer noch zwei Kleinbusse unterwegs, aber warum sollte sie noch länger warten? Sie hatte gesehen, was sie sehen wollte, wusste alles, was sie wissen musste, und hatte nur noch zwei Dinge zu erledigen: Sie musste sich mit dem Grundriss des Gebäudes vertraut machen, und sie musste erfahren, wo Hannah schlief.
Erneut ging die Hintertür auf, aber dieses Mal kamen
nicht mehrere hereingestürmt, sondern nur eine einzelne Person. Sie näherte sich mit schnellen Schritten dem Foyer. Munroe stand auf, ging zurück in den Alkoven und knipste das Licht an. Als Elijah eintrat, hatte sie ihre Nase bereits wieder in das Buch gesteckt.
Sein Mund lächelte, aber sein Blick war besorgt. Hatte er vorhin noch einen eher nervösen Eindruck gemacht, so wirkte er jetzt überreizt und gestresst. Irgendetwas beschäftigte ihn sehr. Irgendwie erinnerte er Munroe an einen Angestellten, der gerade eine äußerst unangenehme Sitzung hinter sich hatte.
»Na?«, sagte er. »Wie läuft es mit der Lektüre?«
Munroe hob den Blick. Im Gegensatz zu ihm strahlte sie große Ruhe und inneren Frieden aus. »Ganz wunderbar«, sagte sie. Und dann, scheinbar verwirrt, als sei es ihr soeben erst eingefallen: »Wie spät ist es denn?«
Elijah schaute auf seine Armbanduhr. Es war eine nervöse Bewegung, eher Gewohnheit als Notwendigkeit. Ihr war klar, dass er genau wusste, wie viel Uhr es war. Er sagte es ihr, und Munroe mimte die Überraschte. »Wie schnell die Zeit vergeht«, sagte sie.
Er hielt für einen Moment inne, dann entspannte er sich sichtlich. Fast so, als hätte er von Arbeit auf Freizeit umgeschaltet. Er setzte sich neben sie, so dicht, dass er sie beinahe berührte. Anscheinend war ihm nicht klar, welches Unwohlsein er durch dieses Eindringen in ihre persönliche Sphäre auslösen konnte. Auf den Gedanken, dass seine Nähe unerwünscht sein könnte oder dass sie mit aller Macht ihren aufschäumenden Zorn unterdrücken musste, schien er erst recht nicht zu kommen.
Elijah fragte sie nach den Texten, die sie gelesen hatte. Er suchte nach Tiefe, nach einer emotionalen Verbindung,
und Munroe ließ sich mühelos und geschmeidig darauf ein. Ihre Antworten wechselten zwischen warm und kalt, zwischen Nähe und Distanz. In gewisser Weise spielte sie mit ihm, immer darauf bedacht, sein Interesse am Leben zu erhalten.
Elijah legte ihr eine Hand aufs Knie. »Warum bleibst du nicht einfach zum Abendessen hier?«
Kaum hatte er sie berührt, versank die Welt um Munroe herum in Grautönen. Sie hätte ihm am liebsten sämtliche Finger gebrochen. Nach einer langen Pause, die sich nur als gründliche Überlegung interpretieren ließ, und begleitet von einem künstlichen Lächeln, sagte sie: »Ich glaube, das würde mir gefallen.«
Die Hand auf ihrem Oberschenkel brannte ein Loch in ihr Innerstes, bis Elijah unvermittelt aufstand.
»Wunderbar«, sagte er. Als er seine Hand zurückzog, reagierte ihr Körper, als hätte sie sich in einem Raum voller giftiger Gase eine Sauerstoffmaske übergestreift. Sie wollte ihm das Buch zurückgeben, aber er schüttelte den Kopf.
»Das kannst du behalten«, sagte er. »Du hast es ja noch nicht durch. Sobald du fertig gelesen hast, können wir uns darüber unterhalten.«
»Danke«, erwiderte sie. Dann kam die nächste Kleinbusbesatzung ins Haus getrippelt. Sie drückte die Worte des PROPHETEN fest an ihre Brust und folgte Elijah durch die Hintertür in den Anbau.
Wenn es im Haupthaus ruhig gewesen war, dann bildete der Speisesaal das genaue Gegenteil. In dem Raum mit den vielen Tischen, der zuvor noch so leer gewesen war, tobte jetzt das Leben. Es war laut, und immer noch kamen mehr Kinder hinzu. Gerade brachte ein dreizehn- oder vierzehnjähriges Mädchen sechs Kleinkinder zu der rechts hinten
befindlichen Schiebetür herein. Nachdem sie jedes Kind an einem
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