Mission Munroe - Die Touristin: Thriller (German Edition)
Streichelte ihr übers Gesicht. »Elf Jahre lang habe ich mich danach gesehnt«, sagte er, zog sie an sich und hielt sie fest. »Ich bin wie Wachs in deinen Händen.« Er ließ sie los und wandte sich den Fensterscheiben und der Steuerkonsole zu. Mit dem Rücken zu ihr sagte er: »Bleibst du heute Nacht bei mir?«
Sie nahm sich einen Stuhl, setzte sich hinter ihn, und so blieben sie eine ganze Zeit lang sitzen. Sie starrte auf seinen Nacken und er auf den Bug des Schiffes.
»Erzähl mir was aus deinem Leben«, sagte er.
»Irgendwas Spezielles?«
»Bist du glücklich?«
»Ich bin nicht unglücklich.«
»Das ist nicht dasselbe«, meinte er. »Bist du verheiratet? Hast du jemanden gefunden, der zu dir passt?«
So eine einfache Frage, so viele komplexe Antwortmöglichkeiten. Sie sagte nur: »Nein, hab ich nicht.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, dann drehte er sich wieder nach vorne. »Es ist nicht einfach für Menschen wie uns. Jemanden zu finden, der uns versteht und mit dem leben kann, was wir wirklich sind, ohne zu urteilen, ohne uns irgendwie in eine schematische Vorstellung vom Leben einzupressen.«
Erneut verstummte er, und die Zeit verging.
»Ich habe Afrika verlassen, Essa«, sagte er. »Nachdem ich dir gefolgt war und mehr oder weniger sicher wusste, wo du hingegangen bist und dass du am Leben warst. Du hast mir nie erzählt, welche Legenden mit dir verknüpft sind. Irgendwann bin ich von selbst dahintergekommen, aber bis dahin haben wir bei unseren Geschäften etliche Katastrophen erlebt. Dann ist Jean ausgestiegen. Ich hatte genügend Geld zusammengespart, sodass ich das ganze Unternehmen dichtmachen konnte, und genau das habe ich gemacht. Hab meine Sachen gepackt und bin nach Frankreich gegangen, um neu anzufangen. Als das nicht geklappt hat, hab ich’s in Spanien noch mal probiert. Nach zwei Jahren war ich wieder zurück in Afrika.«
Er drehte sich um und schaute sie an.
»Das Geschäft war gar nicht das Problem. Ich habe ganz gut verdient in Europa und Kontakte geknüpft, die ich immer noch ab und zu nutze. Hätte endlos weitermachen können.« Er klopfte sich mit der Faust an die Brust. »Aber da drinnen nicht. Ich konnte dieses Leben nicht führen, konnte mich nicht anpassen.« Er erhob sich kurz, um einen Blick auf die Steuerkonsole zu werfen, dann setzte er sich wieder. »Also bin ich jetzt wieder hier, da, wo ich angefangen habe, zurück in meinem Element. Hier fühle ich mich wohl, hier geht es mir gut – so sehr ich es auch hasse. Ganz egal, wie sehr du das alles verachten magst, zumindest kann ich mich jeden Morgen noch im Spiegel ansehen, und das ist besser als jede Alternative.«
Sie stand auf und legte ihm die Hände auf die Schultern, knetete die Anspannung aus seiner Muskulatur. »Wir alle haben mit unseren Dämonen zu kämpfen, Francisco. Nur dass manche sich heftiger wehren als andere.«
Er griff nach ihrer Hand und zog sie sanft zu sich nach vorne. »Und welches sind deine Dämonen, Essa?«
Sie lächelte traurig und schüttelte den Kopf. »Das Alleinsein. Die unsichtbaren Mauern. Die Dinge immer nur von außen betrachten zu können. Anders sein. Ungewöhnlich. Ich verachte ihre Welt und ihre Oberflächlichkeit und trotzdem wäre ich so gerne ein Teil davon. Manchmal frage ich mich, wie viel einfacher ein Leben in Naivität und Unwissenheit wohl wäre.« Sie ließ sich wieder auf dem Stuhl hinter ihm nieder. »Es ist schon vorgekommen, dass ich einen Menschen kennengelernt habe, dem ich mich zumuten konnte, so, wie ich wirklich bin. Aber dann passiert jedes Mal dasselbe: Ich gehe weg.«
Er drehte sich um und schaute sie verwundert an.
Sie meinte achselzuckend: »So ist es sicherer – für die anderen genauso wie für mich. Der eigene Schmerz ist sehr viel leichter zu ertragen als die Verantwortung für den Schmerz eines anderen Menschen. Wenn ich mit jemandem zusammen bin, der genauso verhärtet ist wie ich, dann habe ich diese Angst nicht, aber denen begegnet man nicht so oft.« Sie lächelte matt. »Also gehe ich eben weg.«
Sie blieb bei ihm bis kurz vor dem Morgengrauen, dann stand sie auf.
»Gehst du jetzt schlafen?«, fragte er.
»Wenn ich kann.«
»Nimm doch meine Kabine, bitte. Dort kannst du besser schlafen und«, er hob die Hand, »ich schwöre bei meinem Leben, dass ich dich nicht einschließen werde.«
»Also gut«, sagte sie und ging.
Seine Kabine war größer als die der anderen. Statt zwei Kojen auf engem Raum gab es hier ein Doppelbett und dazu
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