Mission Sphinx: Thriller
finster. Aber das war kein Wunder. Ihre Nerven waren von den ständigen Bombenangriffen stark angegriffen, und die fröhliche Marschmusik, die sie spielten, hatte mit der niedergeschlagenen Stimmung in der Reichshauptstadt wenig zu tun.
Canaris setzte sich an einen leeren Tisch und bestellte einen Krug Bier. Er warf einen Blick auf sein Spiegelbild in einem nahen Wandspiegel. Er sah angespannt und erschöpft aus, da er in den letzten fünf Tagen, seit dem Gespräch mit Schellenberg, nicht mehr geschlafen hatte. Zu welch boshaften Intrigen die Menschen doch imstande waren! Er fuhr sich nervös durchs Haar. Seine Unruhe und Anspannung rührten von der Last, die er zu tragen hatte: Er hatte sein Land verraten und sich gegen Hitler verschworen. Seit 1938, seit der Sudetenkrise, hatte er Verbindungen zur Widerstandsbewegung. Daher lebte er gefährlich und mußte stets größte Vorsicht walten lassen.
Er trug abgetragene Zivilkleidung, einen Mantel und einen Hut. Dank seiner beruflichen Erfahrung hatte er keine Probleme gehabt, die Männer der Gestapo abzuschütteln, die ihm auf seinem abendlichen Spaziergang gefolgt waren.
Er nahm einen Schluck Bier - es schmeckte abgestanden und sah auf die Uhr. Zwei Minuten später kam eine schlanke, blonde Frau herein. Ihr schön geschnittenes Gesicht war unter einer dicken Schicht Makeup verborgen. Billige, schlecht sitzende Kleider vervollständigten die Tarnung. Sie sah Canaris. Er hatte seinen Hut auf die Ecke des Tischs gelegt als Zeichen, daß alles sicher war. Sie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und lächelte. »Wilhelm.«
»Silvia, meine Teuerste«, sagte Canaris liebevoll. Wäre er kein treuer Ehemann, dann hätte er sich in diesen hinreißenden Engel, der da vor ihm saß, leicht verlieben können. Gräfin Silvia Königsberg war die Frau eines schwedischen Diplomaten und eine alte Freundin. »Hattest du keine Probleme, herzukommen?«
»Nein.« Ihre Augen funkelten spitzbübisch. »Ich habe meinen Beschatter von der Gestapo in der Untergrundbahn abschütteln können. Der arme Mann tobt wahrscheinlich gerade vor Wut.«
Canaris bestellte ihr ebenfalls ein Bier und wartete, bis die Kellnerin gegangen war. »Du fliegst also noch heute abend nach Stockholm.«
»Um Mitternacht. Mit dem Postflug. Gibt es etwas Wichtiges, weswegen du mich sehen wolltest?«
Canaris räusperte sich. Auch nur das Geringste aufzuschreiben, wäre zu gefährlich gewesen, da es im Zweifelsfall als Beweisstück gegen ihn verwendet werden könnte. Aber Silvia genoß diplomatische Immunität und hatte einflußreiche Freunde bis hin zum König von Schweden. Ein brutales Verhör stand also außer Frage, wenn sie gefaßt würde.
Doch das hieß nicht, daß sie nicht trotzdem ihr Leben riskierte.
Die Gestapo war sehr geschickt im Arrangieren von tödlichen Unfällen.
»Meine liebe Silvia. Ich muß dir eine Information von äußerster Wichtigkeit und Dringlichkeit anvertrauen. Sie ist so bedeutend, daß sie den Ausgang des Krieges entscheiden könnte.«
Silvia verzog keine Miene. Eine mutige Frau, dachte Canaris, mit dieser typisch nordischen Eigenschaft, auch in der schlimmsten Krise Ruhe zu bewahren. »Schieß los«, sagte sie nur.
Canaris zögerte. Er wußte, daß er an Halder und der jungen Frau Verrat begehen, ihr Unternehmen zum Scheitern bringen würde, sie vielleicht sogar zum Tode verurteilte, und das lastete schwer auf seinem Gewissen. Seit fünf Tagen hatte ihn das nicht zur Ruhe kommen lassen, aber die Alternative war einfach zu grauenhaft. »Schellenberg und Himmler haben einen Plan ausgearbeitet, den amerikanischen Präsidenten und den britischen Premierminister in Kairo zu töten. Sie wissen, daß sie sich dort am 22. dieses Monats, also in drei Tagen, treffen werden, und haben die Absicht, beide zu ermorden.«
Jetzt wurde sein schwedischer Engel doch blaß, und sie rang einen Augenblick nach Luft.
Canaris sagte: »Du mußt diese Nachricht an deine übliche Kontaktperson weitergeben. Wenn dieser Irrsinn gelingt, dann wissen wir beide, was das für Folgen haben wird.«
»Wie - wie soll es vor sich gehen?«
»Ein Team von Spezialisten wird in den nächsten achtundvierzig Stunden nach Kairo fliegen und den Einsatz vorbereiten. Vielleicht sogar schon früher, wenn…»
In dem Augenblick hörten sie beide die Sirenen. Die Kapelle hörte auf zu spielen, und die Gäste liefen in Panik umher und warfen Stühle um. Die Kellner begannen, sie in die tieferliegenden Kellerräume zu
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