Mission Spyflight
rannte Aaro aus der Deckung, öffnete die Schiebetür und stürmte in die Halle.
Gleich hinter der Tür blieb er stehen. Auf einem Anhänger mit Gummirädern lag ein kleines, außergewöhnlich aussehendes Flugzeug, der wahre Grund für die Klemme, in der Aaro steckte. Der Gewittersturm ließ den Regen derart auf das Blechdach trommeln, dass es ratterte wie tausend Sturmgewehre. Aaro machte einige zögernde Schritte auf das Flugzeug zu.
Ein Blitz erfüllte die Halle schlagartig mit blendender Helligkeit. Aaro befürchtete, dass seine Zeit unweigerlich ablief und ein gewaltiges Gefühl von Wehmut und Verzweiflung erfasste ihn. Ein einziger Blick aus einem der Fenster da drüben würde ihn verraten – und er hätte ausgespielt.
Er hatte nichts mehr zu verlieren, weshalb er nun auch verzweifelte Lösungen in Betracht zog. Wenn er damit drohte, das Flugzeug zu zerstören, würde er sich damit sein Entkommen erpressen können? Der Gedanke verlieh ihm Energie, bis ihm bei genauerem Überlegen die Aussichtslosigkeit seiner Idee klar wurde. Er könnte damit nur ein bisschen Zeit herausschlagen, aber nicht die endgültige Freiheit.
Er kämpfte gegen die Tränen an und ballte die Fäuste. Sein Blick fiel auf ein Gerät auf dem Tisch, das aussah wie eine Fernsteuerung. Eine einfachere Version hatte er einmal in den Händen gehabt, als er das RC-gesteuerte Modellflugzeug des Vaters seines Schulkameraden fliegen lassen durfte.
|223| Er nahm den Apparat in die Hand und versuchte, nicht auf das ohrenbetäubende Scheppern des Blechdaches zu achten. Er blickte auf das Flugzeug, auf dessen Untergestell zur Beschwerung Eisengewichte geschichtet worden waren, drei Zehn-Kilo-Scheiben, eine Fünf-Kilo-Scheibe und zwei Zwei-Kilo-Scheiben.
Das Brummen des Motors ließ Aaro zusammenzucken. In Gedanken versunken hatte er einen der Knöpfe auf dem Sender gedrückt und dabei anscheinend den Motor gestartet. Jetzt merkte er, dass unter den Knöpfen und Schaltern Schilder mit russischer Aufschrift klebten. Die Halle befand sich nun im Zentrum des Gewitters, durch die Blitze leuchtete sie auf wie unter dem riesigen Lichtbogen eines Schweißgerätes. Aaro drückte einen anderen Knopf, um den Motor abzuschalten. Dessen Geräusch war schwach, aber er hatte trotzdem Angst, es könnte an die Ohren der Russen dringen. Vielleicht hatten sie es schon gehört?
Mehr vom Instinkt als von der Vernunft geleitet legte er die Fernsteuerung auf den Boden, griff nach den Eisengewichten, die auf dem Landegestell der Maschine ruhten, und räumte sie rasch beiseite. An ihre Stelle legte er die Fernsteuerung. An dem Anhänger, auf dem das Fluggerät ruhte, befand sich ein Griff, den er mit beiden Hände fest umschloss. Er zerrte daran, bis sich die Gummiräder drehten und sich das schwere Gerät langsam auf das Hallentor zubewegte. Der Donner schlug ihm dabei den Takt wie der Trommler auf einer römischen Galeere.
Er stoppte mühsam, riss die Schiebetür auf und zerrte |224| den Hänger ins Freie, wo er sofort von dem Sperrfeuer des Regens unter Beschuss genommen wurde. Aaro nahm die Fernsteuerung und versuchte, sie mit seinem Shirt vor dem Regen zu schützen, aber das war hoffnungslos.
Er drückte den Knopf, den er für den richtigen hielt, und die Motoren sprangen wieder an. Kurz zögerte er, aber dann gab er sich einen Ruck.
Er legte sich bäuchlings auf das Rohrgestell unter der Maschine, wo gerade noch die Gewichte gelegen hatten. Vom Rumpf der Maschine lief ihm Wasser auf den blutig geschrammten Rücken. Aaro griff nach dem mattschwarzen Joystick der Fernbedienung, erhöhte die Drehzahl des Motors und biss die Zähne zusammen. Fast im selben Moment spürte er einen Ruck. Langsam löste sich die Maschine von dem Transportanhänger und stieg mit leichtem Schwanken senkrecht in die Luft auf.
Aaro musste all seine Konzentration und all sein Geschick aufbringen, um die Bewegung bei dem stürmischen Wetter stabil zu halten. Er hatte das Gefühl, als wären all die Hunderte von Stunden, die er an der Spielkonsole verbracht hatte, nichts anderes als das Training für diesen Augenblick gewesen.
In einer Windböe kam die Maschine heftig ins Wackeln und Aaro fürchtete, innerhalb des Zauns auf die Erde zu krachen, aber dann gelang es ihm, durch kräftiges Erhöhen der Drehzahl den Aufstieg fortzusetzen. Er hatte Angst, jeden Moment würden die Wächter auf den Hof rennen und ihn abschießen.
Die nasse Erde und das Blechdach der Halle entfernten |225| sich
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