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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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begann dann, mich zu verteidigen. Ich räumte den tätlichen Angriff und den Diebstahl der Zigarette ein. Dann fügte ich beinahe beiläufig hinzu: «Es war ganz sicher nie meine Absicht, andere zur Rebellion anzustiften.»
    Der Vorsitzende nickte und schrieb irgendwas auf ein Blatt Papier – wahrscheinlich eine Notiz, später, auf dem Nachhauseweg, noch rasch Zigaretten und Wodka zu kaufen – und blickte dann erwartungsvoll die Anklägerin an.
    Ich mag Frauen in Uniform. Leider schien diese mich nicht zu mögen. Wir waren uns nie begegnet, und doch wusste sie über alles Bescheid: den überaus niederträchtigen Denkvorgang, der mich bewogen hatte, die Rebellion anzuzetteln; meine Hingabe an Adolf Hitler und den Nationalsozialismus; die Freude, die ich ob des hinterhältigen Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 empfunden hatte; meinen gewichtigen Anteil an der Kollektivschuld, die alle Deutschen an der Ermordung von Millionen unschuldiger Russen trugen. Und als wäre das nicht genug, hatte ich auch noch die anderen
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in Lager drei zu Mord und mehr anstiften wollen.
    Die einzige Überraschung war, dass sich das Gericht für einige Minuten zurückzog, um sich zu beraten und, was wichtiger war, eine Zigarettenpause zu machen. Einem der Mitglieder des Tribunals quoll noch Rauch aus der Nase, als sie zurück in den Raum kamen.
    Die Anklägerin stand auf. Der Übersetzer stand auf. Ich stand auf. Das Urteil wurde verkündet. Ich war eine Faschistensau, ein deutscher Schweinehund, ein Kapitalistenschwein, ein Naziverbrecher, und ich war außerdem schuldig im Sinne der Anklage.
    «Das Gericht entspricht dem Antrag der Anklagevertretung und verurteilt Sie in Anbetracht Ihrer Vorstrafen zum Tode.»
    Ich schüttelte den Kopf. Ich war sicher, dass die Anklägerin keinen derartigen Antrag gestellt hatte – vielleicht hatte sie es einfach vergessen – und dass meine Vorstrafen nicht mal erwähnt worden waren. Es sei denn, man zählte den Einmarsch in die Sowjetunion dazu. Der immerhin entsprach der Wahrheit.
    «Todesstrafe?» Ich zuckte die Achseln. «Da kann ich ja wohl von Glück sagen, dass ich nicht Klavier spiele.»
    Seltsamerweise übersetzte der Übersetzer meine Bemerkung nicht. Er wartete darauf, dass der Vorsitzende weitersprach.
    «Sie sollten dankbar sein, dass Gnade und Achtung der Menschenrechte das Fundament unseres Landes sind», sagte er gerade. «Nach dem Großen Vaterländischen Krieg, in dem so viele unschuldige Sowjetbürger ihr Leben ließen, war es der Wunsch des Genossen Stalin, dass die Todesstrafe in unserem Land abgeschafft wird. Somit wird die über Sie verhängte Todesstrafe in fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit umgewandelt.»
    Ehe ich angesichts meines erklärten Schicksals die Fassung verlieren konnte, wurde ich aus dem Gerichtssaal in einen Hof geführt, wo ein Gefängniswagen mit laufendem Motor auf mich wartete. Meine Unterlagen waren bereits beim Fahrer, was mich in der Meinung bestärkte, dass das Urteil von vornherein festgestanden hatte. Der Gefängniswagen war in vier kleine Zellen unterteilt, alle so eng und niedrig, dass ich mich tief bücken musste, um überhaupt reinzukommen. Die Metalltür war mit kleinen Löchern perforiert, damit man in der Zelle Luft bekam. Ja, der Iwan war wirklich fürsorglich. Der Fahrer fuhr rasant an – man hätte meinen können, er säße am Steuer des Fluchtwagens einer Bande von Bankräubern –, und dann hielten wir unvermittelt an. Ich hörte, dass weitere Häftlinge aufgeladen wurden, und schon ging es weiter, wieder in halsbrecherischem Tempo, und der Fahrer lachte jedes Mal laut, wenn der Wagen in den Kurven schlingerte. Endlich hatte die Höllenfahrt ein Ende, der Motor wurde abgestellt, die Türen aufgerissen, und dann verstand ich: Wir wurden bereits von einem Zug erwartet, der schon unter Dampf stand und laut schnaufend zu verstehen gab, dass er unbedingt losfahren wollte, aber wohin, das sagte uns keiner. Alle Insassen des Gefängniswagens mussten einen Viehwaggon besteigen, in dem schon einige andere Deutsche hockten, die genauso finster dreinblickten, wie es in mir aussah. Fünfundzwanzig Jahre! Erst 1970 würde ich wieder nach Hause kommen! Falls ich so lange lebte. Die Tür des Viehwaggons schloss sich mit einem dumpfen Knall und hüllte uns in Halbdunkel. Die Räder setzten sich ruckelnd in Bewegung, sodass wir einander in die Arme geworfen wurden, und dann nahm der Zug Fahrt auf.
    «Hat irgendwer eine Ahnung, wo sie uns

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