Mission Walhalla
Ich hab nach Deutschland gesucht. Und gefunden hab ich bloß neue Möbel, Autos und Spielzeug für amerikanische Jungs.»
«Drehen Sie um», sagte ich zu Wenger. «Wir müssen zurück.»
Vigée, der auf dem Beifahrersitz saß, befahl Wenger, kurz anzuhalten. Dann wandte er sich mir zu. «Haben Sie was gefunden?»
«Vielleicht.»
«Lassen Sie hören.»
«Kurz bevor wir aus dem Bahnhof gegangen sind, hab ich auf dem Bahnsteig eine Frau gesehen, die ein Schild mit der Beschreibung ihres Sohnes dabeihatte; ein Pastor hat sie mit Namen angesprochen.»
«Stimmt», sagte Vigée. «Wie hieß sie noch?»
«Kettenacher», sagte ich. «Aber laut der Liste vom Roten Kreuz befand sich ein Mann namens Kettenacher im Zug.»
«Das ist kein seltener Name hier im Norden», sagte Möller.
«Nein», sagte ich entschieden. «Aber Frau Kettenachers Sohn war im Panzerkorps. Er war Hauptmann. Genau wie ich. Richard Kettenacher. Sechsundfünfzigstes Panzerkorps. Vermisst seit der Schlacht um Berlin.»
«Er hat seine Mutter in dem Gedränge übersehen», sagte Möller. «So was kann passieren.»
«Und was ist mit seinen Kameraden?», fragte ich. «Hätten sie alle die Frau und das Schild übersehen?»
«Kehren Sie um», sagte Vigée mit drängender Stimme zu Wenger. «Schnell.»
Wenger wendete den Wagen.
«Lassen Sie mal die Liste sehen», sagte der Franzose.
Ich reichte sie ihm und zeigte auf den Namen.
«Was schlagen Sie vor?», fragte er. «Sollen wir direkt zum Lager fahren? Vielleicht macht er sich auf dem Weg dorthin heimlich aus dem Staub?»
«Nein», sagte ich. «Er ist hier, weil er sich offiziell registrieren lassen will. Er braucht Papiere. Sonst hätte die sowjetische Staatssicherheit ihn in Berlin über die Grenze schmuggeln können. Er braucht seine Entlassungspapiere. Lebensmittelkarten. Einen Ausweis. Um ein Mitglied der westdeutschen Gesellschaft zu werden. Um ein anderer zu werden. Er wird sich nicht aus dem Staub machen.»
Ich überlegte einen Moment.
«Wir müssen mit der Mutter des richtigen Hauptmanns Kettenacher sprechen, der alten Dame, die ich auf dem Bahnsteig gesehen habe. Vielleicht kann sie uns ein Foto von ihrem Sohn geben. Damit Sie und Möller morgen, wenn Sie ins Lager gehen und er versucht, Ihnen Sand in die Augen zu streuen, ein Foto vorzeigen können. Überlassen Sie mir die Fragen, wenn wir bei ihr sind. Immerhin bin ich ein Vertreter des VdH.»
«Sie sagten eben, ich und Möller, soll das heißen, Sie kommen nicht mit ins Lager?», sagte Vigée. «Wieso das denn?»
«Weil ich finde, Sie sollten mich in Reserve halten», sagte ich aalglatt. «Überlegen Sie doch mal, Emile. Sie nehmen Kettenacher auf den Verdacht hin fest, in Wirklichkeit de Boudel zu sein. Er streitet es natürlich ab. Also bringen Sie ihn zur Pension Esebeck und zeigen ihm das Foto von dem richtigen Kettenacher. Er streitet es weiter ab: Das muss ein Irrtum sein. Ein bürokratischer Fehler. Es hat zwei Kettenachers gegeben, beide Hauptmann. Er redet sich um Kopf und Kragen. Dann trete ich hinter dem Vorhang hervor und sage: ‹Hallo, Edgard. Kennst du mich noch?› Ich bin Ihr Ass im Ärmel, Emile. Aber Sie dürfen mich erst am Schluss ausspielen.»
Vigée nickte. «Ja. Natürlich, Sie haben recht. Aber wie sollen wir Frau Kettenacher finden?»
«Ich bin Polizist. Wenn es nicht ein Leichtes wäre, Leute aufzuspüren, würde die Polizei nicht jeden Tag damit beauftragt.»
«Also, wo fahr ich jetzt hin?», knurrte Wenger. «Was ist, wenn die alte Dame nicht in Friedland wohnt? Vielleicht ist sie gar nicht mehr in der Stadt.»
«Der Pastor schien sie zu kennen», sagte Vigée.
«Ja, aber in Friedland gibt es keine Kirche.»
«In Groß Schneen ist eine», sagte Möller.
«Fahren Sie zurück zum Bahnhof», sagte ich. «Vielleicht erinnert sich ja jemand an die beiden. Falls nicht, können wir dann entscheiden, was wir machen.»
Der Bahnhofsvorsteher, ein gebeugtes, blasses Männchen, fegte den jetzt wieder menschenleeren Vorplatz. Sein Blumenbeet war zertreten worden, weshalb er nicht gerade bester Stimmung war. Er schüttelte den Kopf, als ich ihn nach Frau Kettenacher fragte, doch an den Pastor erinnerte er sich auf Anhieb.
«Das war Pastor Overmans, von der Kirche in Hebenshausen.»
«Wo ist das?»
«Zwei Kilometer von hier. Hebenshausen ist noch kleiner als Friedland. Immer in die Richtung. Können Sie gar nicht verfehlen.»
Wenger fuhr los, und nach kurzer Zeit kamen wir in ein Dorf, das so verschlafen
Weitere Kostenlose Bücher