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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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es verdient hatten und sie uns ebenso erschossen hätten, sobald sich die Gelegenheit bot. Also richteten wir sie in Vierergruppen hin. Wir ließen sie nicht ihr eigenes Grab schaufeln oder irgendwas in der Art. So was mochte ich nicht. Das hatte was Sadistisches an sich. Wir erschossen sie einfach und ließen sie liegen. Später, als ich
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in einem russischen Arbeitslager war, wünschte ich mir manchmal, ich hätte noch viel mehr erschossen als nur die dreißig, aber das ist eine andere Geschichte.
    Ich hatte also kein schlechtes Gewissen. Am nächsten Tag lief ich mit meinen Männern einem alten Kollegen aus dem Berliner Polizeipräsidium am Alex über den Weg, in einem Dorf irgendwo westlich von Minsk. Ein Mann namens Becker, der in einem anderen Polizeibataillon war. Er war gerade dabei, Zivilisten zu erschießen. In einem Graben stapelten sich etwa hundert Leichen, und ich hatte den Eindruck, dass Becker und seine Männer betrunken waren. Selbst da dämmerte es mir nicht. Ich versuchte weiter, mir eine Erklärung für etwas zurechtzulegen, das zutiefst unerklärlich war und zweifellos unentschuldbar. Und erst als ich sah, dass einige der Menschen, die als Nächstes an der Reihe waren, alte Frauen waren, sagte ich etwas.
    «Was zum Teufel treibst du da?», fragte ich.
    «Ich befolge meine Befehle», sagte er.
    «Was für Befehle? Alte Frauen umzubringen?»
    «Das sind Juden», sagte er, als sei das Erklärung genug. «Ich hab den Befehl, so viele Juden zu töten wie möglich, und genau das tu ich.»
    «Auf wessen Befehl? Wer ist dein Feldkommandeur, und wo steckt der?»
    «Sturmbannführer Weis.» Becker zeigte auf ein langgestrecktes Holzhaus hinter einem weißen Lattenzaun, etwa dreißig Meter weiter die Straße runter. «Er ist dadrin. Isst gerade zu Mittag.»
    Ich ging auf das Haus zu, und Becker rief mir nach: «Glaub nicht, dass mir gefällt, was ich tue. Aber Befehl ist Befehl, oder?»
    Als ich das Haus erreichte, hörte ich die nächste Salve krachen. Eine der Türen stand offen, und im Zimmer saß ein SS -Sturmbannführer auf einem Stuhl. Die Uniformjacke hing über der Lehne. In einer Hand hielt er ein angebissenes Stück Brot, in der anderen eine Flasche Wein und eine Zigarette. Er hörte sich mit einem müden Lächeln an, was ich zu sagen hatte.
    «Hören Sie, meine Idee war das nicht», sagte er. «Wir vergeuden damit Zeit und Munition, wenn Sie mich fragen. Aber ich tue, was man mir sagt, klar? So funktioniert das nun mal in der Armee. Ein vorgesetzter Offizier gibt mir einen Befehl, und ich gehorche. Ende, aus.» Er deutete auf ein Feldtelefon, das auf dem Boden stand. «Beschweren Sie sich doch beim Hauptquartier, wenn Sie wollen. Die werden Ihnen dasselbe sagen, was sie mir gesagt haben. Die Sache durchzuziehen.» Er schüttelte den Kopf. «Sie sind nicht der Einzige, der das für Wahnsinn hält, Hauptsturmführer.»
    «Sie meinen, Sie haben sich schon erkundigt, und der Befehl wurde bestätigt?»
    «Sozusagen. Das Feldoberkommando hat gesagt, ich soll mich an das Divisionsoberkommando wenden.»
    «Und was haben die gesagt?»
    Sturmbannführer Weis schüttelte den Kopf. «Bei der Division einen Befehl in Frage stellen? Sind Sie verrückt geworden? Wenn ich das mache, bin ich die längste Zeit Sturmbannführer gewesen. Die holen sich meine Schulterstücke und hängen mich an meinen Eiern auf, und nicht unbedingt in der Reihenfolge.» Er lachte. «Aber nur zu, rufen Sie die an. Lassen Sie nur meinen Namen aus dem Spiel.»
    Draußen krachte die nächste Salve. Ich griff zum Feldtelefon und drehte wütend an der Kurbel. Dreißig Sekunden später führte ich mit irgendwem vom Divisionsoberkommando eine hitzige Diskussion. Der Sturmbannführer stand auf und legte ein Ohr an die andere Seite des Hörers. Als ich losfluchte, grinste er und trat einen Schritt zurück.
    «Jetzt haben Sie sie verärgert», sagte er.
    Ich knallte den Hörer auf und stand wutschnaubend da.
    «Ich soll mich bei der Division in Minsk melden», sagte ich. «Unverzüglich.»
    «Ich hab’s Ihnen ja gesagt.» Er reichte mir seine Flasche, und ich trank einen Schluck. Wie sich herausstellte, war es Wodka, nicht Wein. «Die werden Sie degradieren, todsicher. Hoffentlich war es das wert. Nach dem, was ich so höre, ist das da –», er zeigte nach draußen, «bloß Rauch. Am Abzug des Gewehrs sitzt jemand anders. Das müssen Sie sich immer wieder in Erinnerung rufen, mein Freund. Denken Sie dran, was Goethe gesagt hat. Dass die

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