Mission Walhalla
größte Glückseligkeit für uns Deutsche darin besteht, das zu verstehen, was wir verstehen können, und anschließend verdammt nochmal zu tun, was man uns sagt.»
Ich ging nach draußen und sagte meinen Männern, die ich in einem Panzerwagen und einem Puma-Schützenwagen mitgebracht hatte, dass wir nach Minsk müssten, um über den morgendlichen Einsatz zur Partisanenbekämpfung Bericht zu erstatten. Während der Fahrt hing ich düsteren Gedanken nach, aber das hatte nur teilweise mit dem Schicksal einiger hundert unschuldiger Juden zu tun. Hauptsächlich sorgte ich mich um den Ruf der Deutschen und der deutschen Armee. Wo soll das nur enden?, fragte ich mich. Da hatte ich noch keine Ahnung, dass bereits Tausende Juden auf ähnliche Weise hingemetzelt wurden.
Minsk war leicht zu finden. Man musste bloß einer langen schnurgeraden Straße folgen – die übrigens für russische Verhältnisse ziemlich gut ausgebaut war – und immer auf die graue Rauchwolke am Horizont zuhalten. Die Luftwaffe hatte die Stadt ein paar Tage zuvor bombardiert und den Stadtkern dem Erdboden gleichgemacht. Trotzdem fuhren die deutschen Fahrzeuge in einigem Abstand voneinander auf der Straße, für den Fall eines russischen Luftangriffs. Aber von der Roten Armee gab es keine Spur mehr, und der Abwehrdienst der Wehrmacht meldete, dass die dreihunderttausend Einwohner die Stadt ebenfalls verlassen hätten, wenn wir nicht die Straße östlich von Minsk – die nach Mogilew und Moskau führte – bombardiert hätten, was rund achtzigtausend Menschen gezwungen hatte, in die Stadt zurückzukehren, oder zumindest in das, was von ihr übrig war. Aber auch dort bot sich ihnen kaum Unterschlupf. Die meisten Holzhäuser in den Randbezirken standen noch in Flammen, und in der Stadtmitte türmten sich Schuttberge vor ausgebrannten Büro- und Wohngebäuden. Ich hatte noch nie eine Stadt gesehen, die so sorgfältig zerstört worden war wie Minsk. Umso erstaunlicher war es, dass die Uprawa, Stadtrat und Hauptquartier der Kommunistischen Partei, die Bombardierung nahezu unversehrt überstanden hatte. Die Einheimischen nannten die Uprawa zu Recht das Große Haus: Das Gebäude war neun oder zehn Stockwerke hoch und aus weißem Beton erbaut und wirkte von vorn wie eine Reihe von gigantischen Aktenschränken, die alle Einzelheiten über jeden Bürger von Minsk enthielten. Auf dem Vorplatz stand eine wuchtige Bronzestatue von Lenin, der die zahlreichen deutschen Autos und Lastwagen verständlicherweise mit ängstlich besorgter Miene betrachtete, denn immerhin diente das Gebäude jetzt als Sitz des Reichskommissariats Ostland – ein von den Deutschen neugeschaffenes Verwaltungsgebiet, das sich von der weißrussischen Hauptstadt bis zur Ostsee erstreckte.
Ich stieß die schwere Holztür der Uprawa auf und betrat eine protzige marmorverkleidete Halle, in deren Mitte ein monströser Schreibtisch stand. Dahinter saß eine Reihe deutscher Soldaten und SS -Männer, die sich bemühten, Ordnung in die Scharen von staubigen grauen Männern zu bringen, die wie die Ameisen ein und aus gingen. Ich erkundigte mich bei einem SS -Offizier nach dem Büro des SS -Divisionskommandeurs. Ich wurde in den zweiten Stock geschickt und gebeten, die Treppe zu nehmen, da der Fahrstuhl außer Betrieb war.
Auf dem Treppenabsatz im ersten Stock stand ein Bronzekopf von Stalin und im zweiten Stock ein Bronzekopf von Felix Dserschinski. Nach dem Unternehmen Barbarossa hatten die russischen Bildhauer bestimmt nicht mehr viel zu lachen, ebenso wenig wie alle anderen. Der Boden war von Glasscherben übersät, und die grauen Wände waren gesprenkelt mit Einschusslöchern. Am Ende des langen Korridors standen zwei gegenüberliegende Türen offen, durch die weitere SS -Offiziere in einer Wolke aus Zigarettenrauch hin und her eilten. Einer von ihnen war der kommandierende Offizier meiner Einheit, SS -Standartenführer Mundt. Er war einer dieser Männer, die aussahen, als seien sie in Uniform zur Welt gekommen. Als er mich bemerkte, hob er erst eine Augenbraue und dann beiläufig eine Hand, um meinen Gruß zu erwidern.
«Das Mordkommando», sagte er. «Haben Sie die erwischt?»
«Jawohl, Standartenführer.»
«Gut gemacht. Was habt ihr mit ihnen angestellt?»
«Wir haben sie erschossen, Standartenführer.» Ich überreichte ihm eine Handvoll Ausweisdokumente, die ich den Russen vor der Exekution abgenommen hatte.
Mundt blätterte in den Papieren wie ein Zollbeamter auf der Suche nach
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