Mission Walhalla
wenn ich ehrlich bin, hatte ich von den Nazis im Sommer 1940 eine viel bessere Meinung. Nazi oder nicht, das war zu dieser Zeit kaum von Bedeutung. Plötzlich waren wir alle wieder stolz, Deutsche zu sein.
Natürlich waren die Menschen auch erleichtert, weil sie dachten – weil wir alle dachten –, der Krieg wäre zu Ende, noch ehe er richtig begonnen hatte. Im Vergleich zu den Millionen Gefallenen im Ersten Weltkrieg hatte es bisher kaum Tote gegeben. England würde Frieden schließen müssen. Die russische Hintertür war gesichert. Und Amerika war wie üblich nicht bereit, sich einzumischen. Alles in allem schien uns wie durch ein Wunder Schlimmeres erspart zu bleiben. Bei den Franzosen sah es mit Sicherheit nicht so rosig aus, aber in Deutschland herrschte nationale Jubelstimmung. Und ganz ehrlich, das Letzte, woran ich dachte, als ich an jenem Morgen in Heydrichs Büro trat, war dieses blöde kleine Arschloch Erich Mielke.
An einem Tisch neben Heydrich saß ein mir unbekannter uniformierter SS -Mann. Er war um die dreißig, schmächtig, mit vollem braunem Haar, einem sensiblen, beinahe femininen Mund und den katzenartigsten Augen, die ich außerhalb des Leopardengeheges im Berliner Zoo je gesehen hatte. Vor allem das linke Auge war extrem schmal, sodass ich zuerst dachte, er kneife es wegen des Rauchs aus seinem silbernen Zigarettenhalter zu, doch nach einer Weile merkte ich, dass das Auge immer so aussah, als hätte er ein Monokel verloren. Er lächelte, als Heydrich uns einander vorstellte, und ich fand, dass eine frappierende Ähnlichkeit mit dem jungen Bela Lugosi bestand, auch wenn man kaum glauben mag, dass Bela Lugosi jemals jung war. Der Name des SS -Offiziers war Walter Schellenberg, und ich glaube, damals war er Sturmbannführer – sehr viel später wurde er Brigadeführer, aber ich achtete nicht besonders auf die Rangabzeichen auf seinem Kragenspiegel. Interessanter fand ich, dass Heydrich die Uniform eines Reservemajors der Luftwaffe trug. Und noch interessanter war, dass er den Arm in einer Schlinge trug, und einige Minuten lang vermutete ich, dass ich herbestellt worden war, weil es tatsächlich einen Anschlag auf ihn gegeben hatte und ich die Ermittlungen aufnehmen sollte.
«Oberkommissar Gunther ist einer unserer besten Männer bei der Kripo», erklärte Heydrich Schellenberg. «Keine ganz ungefährliche Tätigkeit im neuen Deutschland. Die Philosophen behaupten, letztlich sei die Welt entweder Geist oder Materie. Nach Schopenhauer liegt der Wirklichkeit der menschliche Wille zugrunde. Aber wenn ich mir Gunther anschaue, werde ich stets daran erinnert, wie wichtig die menschliche Neugier für die Welt ist. Ein guter Kriminalist muss ebenso neugierig sein wie ein Wissenschaftler oder Erfinder. Er muss Hypothesen aufstellen. Und er muss sich stets bemühen, sie anhand empirischer Fakten zu verifizieren. Hab ich recht, Gunther?»
«Durchaus, Obergruppenführer.»
«Gewiss fragt er sich genau in diesem Moment, warum ich eine Luftwaffenuniform trage, und hofft insgeheim, dass der Grund mein bevorstehender Abschied von der Sipo wäre, damit er ein ruhiges beschauliches Leben genießen kann.» Heydrich schmunzelte über seinen kleinen Scherz. «Kommen Sie, Gunther. Haben Sie nicht genau das gedacht?»
«Verlassen Sie die Sipo, Obergruppenführer?»
«Nein, keineswegs.» Er feixte wie ein pfiffiger Schuljunge.
Ich sagte nichts.
«Nun halten Sie Ihre überschwängliche Erleichterung aber etwas in Zaum, Gunther.»
«Wie Sie wünschen, Obergruppenführer. Ich tue, was ich kann.»
«Sehen Sie, was ich meine, Walter? Er bleibt immer er selbst.»
Schellenberg rauchte nur lächelnd weiter, beobachtete mich mit seinen Katzenaugen und sagte nichts. Wenigstens darin waren wir uns einig: Schweigen war immer das Sicherste in Heydrichs Gesellschaft.
«Beim Einmarsch in Polen», erklärte Heydrich, «bin ich das erste Mal als Freiwilliger an Bord eines Bombers mitgeflogen. Ich war Bordschütze bei einem Luftangriff auf Lublin.»
«Das klingt ziemlich gefährlich, Obergruppenführer», sagte ich.
«Das ist es auch. Aber glauben Sie mir, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, mit dreihundert Stundenkilometern auf eine feindliche Stadt zuzurasen, ein MG 17 in den Händen. Ich wollte gewissen Bürohengsten, die sich als Soldaten verkleiden, zeigen, aus welchem Holz die SS geschnitzt ist. Dass wir nicht bloß ein Haufen Asphaltsoldaten sind.»
«Sehr vorbildlich, Obergruppenführer. Haben Sie sich dabei
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