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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Versprechen, wie es die Nazis gern gaben. Ein Versprechen, auf das kein Verlass war und das niemand ernst nehmen konnte. Das hoffte ich zumindest. Denn nach dem, was mit den Häftlingen aus Gurs im Wald bei Lourdes passiert war, wollte ich den Nazis auf keinen Fall helfen, noch mehr Deutsche abzuführen, nicht mal einen Deutschen, der zwei Polizisten ermordet hatte. Für die Männer, die auf Bömelburgs Liste standen, konnte ich nichts tun, aber ich sollte verdammt sein, wenn ich noch mehr Menschen für Heydrich hochgehen ließ. Jetzt nicht mehr.
    Noch einmal sah ich Erich Mielke in die Augen. Er wandte den Blick nicht ab und dachte sich vermutlich seinen Teil. Natürlich war er älter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Breiter und kräftiger, besonders um die Schultern. Er trug einen kurzen Bart, aber der grämliche Zug um den Mund war ebenso unverkennbar wie die wachsamen Augen, die kein Mitleid kannten, und der Hahnenkamm aus ungebärdigem Haar auf dem rundlichen Kopf. Er hielt mich wahrscheinlich für einen Beefsteak-Nazi, außen braun und innen rot. Wie unrecht er hatte. Die Morde an Anlauf und Lenck waren so ziemlich das Feigste, was ich je gesehen hatte, und ich hätte ihn liebend gern dafür drangekriegt und miterlebt, wie er einen Kopf kürzer gemacht wurde. Er widerte mich an, aber noch mehr widerte mich die instinktive, beiläufig ausgeübte Brutalität des nationalsozialistischen Polizeistaates an. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschrien, dass er jetzt eine Verabredung mit dem Sensenmann hätte, wenn nicht am Vortag acht Männer an einer Landstraße ermordet worden wären.
    Ich wandte mich ab und ging achselzuckend zurück zu Bömelburg.
    «Den Versuch war’s wert», sagte er.
    Keiner von uns hatte erwartet, was dann geschah.
    «Ich kenne keinen Erich Mielke», sagte eine Stimme.
    Der Mann war klein, hatte jüdisch anmutendes, dunkles krauses Haar und hellwache braune Augen. Ein Gesicht wie ein Anwalt, was vielleicht den großen Bluterguss an seiner Wange erklärte.
    «Ich kenne keinen Erich Mielke», wiederholte er, jetzt, da er unsere Aufmerksamkeit hatte, «aber ich möchte Nationalsozialist werden.»
    Einige Gefangene lachten, andere pfiffen, aber der Mann ließ sich nicht beirren.
    «Die Franzosen haben mich gefangen genommen, weil ich deutscher Kommunist war», sagte er. «Damals war ich kein Feind Frankreichs, aber jetzt bin ich es. Wirklich, ich hasse und verachte dieses Volk mehr, als ich die Nationalsozialisten je gehasst habe. Ich muss den ganzen Tag über Latrineneimer leeren, und ich werde Frankreich für den Rest meines Lebens mit dem Geruch von Scheiße in Verbindung bringen.»
    Die Augen des Korsen verengten sich, und er ging mit erhobener Peitsche auf den Mann zu.
    «Nein», sagte Bömelburg. «Lassen Sie den Kerl weiterreden.»
    «Ich bin froh, dass Frankreich besiegt worden ist», sagte der Gefangene. «Und da ich mich zum Feind Frankreichs erkläre, möchte ich mich zur deutschen Armee melden, ein treuer Soldat des Vaterlandes werden und ein glühender Anhänger Adolf Hitlers. Sicher, der Krieg ist zu Ende, aber wer weiß, vielleicht bekomme ich ja doch noch Gelegenheit, einen Franzmann abzuknallen, und das würde mich überglücklich machen.»
    Seine Mitgefangenen johlten höhnisch, aber ich sah Sturmbannführer Bömelburg an, dass er beeindruckt war.
    «Wenn es Ihnen also nichts ausmacht, Sturmbannführer, würde ich gerne mit Ihnen kommen, wenn Sie dieses beschissene Drecksloch verlassen.»
    Bömelburg lächelte. «Tja», sagte er. «Ich glaube, das wäre auch besser für Sie.»
    Er kam mit. Und es sagte vieles über die übrigen Deutschen in Baracke dreiunddreißig aus, dass keiner von ihnen seinem Beispiel folgte. Kein einziger.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 21 DEUTSCHLAND 1954
    «Herrgott, Gunther», rief einer meiner amerikanischen Vernehmer. «Wollen Sie etwa behaupten, Sie hatten dieses Kommunistenschwein Mielke praktisch in Ihrer Gewalt und haben ihn laufenlassen?»
    «Ja.»
    «Verdammte Scheiße, sind Sie verrückt? Damit haben Sie ihm das zweite Mal den Arsch gerettet. Schon mal drüber nachgedacht?»
    «Natürlich hab ich darüber nachgedacht.»
    «Ich meine, haben Sie es bereut?»
    «Offenbar hab ich mich nicht klar genug ausgedrückt», sagte ich. «Noch vor der Baracke dreiunddreißig, während ich vorgab, ihn nicht zu erkennen, bereute ich es. Der ermordete Hauptmann Anlauf hinterließ Kinder, die bereits ihre Mutter verloren hatten. Sie müssen bedenken,

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