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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Inspiration.»
    «Aber mal im Ernst», sagte der andere Ami. «Falls Sie Stift und Papier brauchen, um sich ein paar Notizen zu machen, zum Beispiel über Mielke, sagen Sie einfach den Wachen Bescheid. Könnte Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, wenn Sie ein paar Sachen aufschreiben.»
    «Warum das denn auf einmal?»
    «Weil es immer brenzliger wird. Und Mielke immer wichtiger. Je mehr Einzelheiten Ihnen wieder einfallen, umso besser.»
    «Ich wüsste, welcher Geist mich inspirieren könnte», sagte ich. «Und es ist nicht der von Hitler.»
    «Ach nein?»
    «Ich bin ein bisschen wie Goethe», sagte ich. «Wenn ich was zu Papier bringen soll, hilft mir meist eine Flasche guter deutscher Weinbrand.»
    «Gibt es überhaupt guten deutschen Weinbrand?»
    «Ein billiger Wodka tut’s auch, aber ein Mann braucht nun mal einen Zeitvertreib, wenn er mit den Füßen im Zement steckt. Etwas, das seine Gedanken von der Gegenwart fort in die Vergangenheit lenkt. Ungefähr sieben Jahre zurück, genauer gesagt.»
    «Also gut», sagte der mit der Brille. «Wir besorgen Ihnen eine Flasche.»
    «Und ich möchte wieder mit dem Rauchen anfangen, und zwar richtig. Ehe ich Kuba verließ, hatte ich damit aufgehört. Aber seit ich Sie kenne, hab ich wieder Grund, mich umzubringen.»
    Danach ließen sie mich allein. Stifte und Papier, eine Flasche Weinbrand, ein sauberes Glas, ein paar Päckchen Zigaretten, Streichhölzer und sogar eine Zeitung wurden gebracht. Ich baute alles auf dem Tisch auf und sah es mir eine Weile an, genoss das Gefühl, mir einen genehmigen zu können, wann immer ich wollte. Es sind die Kleinigkeiten, die ein Gefängnis erträglich machen. Zum Beispiel ein Türschlüssel. Nach allem, was man so hörte, konnte sich Hitler in Landsberg praktisch frei bewegen und hatte hier eher wie in einem Hotel gelebt, nicht wie in einer Strafvollzugsanstalt. Das passte, denn seiner Meinung nach hatte er für den Putsch von 1923 ja ohnehin keine Strafe verdient.
    Ich legte mich aufs Bett und versuchte, mich zu entspannen, aber das war in dieser Zelle alles andere als leicht. Hatten sie mich deshalb hier untergebracht? Oder war das bloß der amerikanische Humor? Ich versuchte, nicht an Adolf Hitler zu denken, aber ich sah ihn immer wieder vom Tisch aufstehen und ungeduldig ans Fenster treten, wo er auf seine typische Art durch die Gitterstäbe nach draußen blickte: wie ein Mann, den das Schicksal erwählt hat.
    Seltsamerweise hatte ich mich nie so ernsthaft mit Hitler beschäftigt wie hier. Als er noch lebte, hatte ich jahrelang versucht, keinen Gedanken an ihn zu verschwenden. Ehe er zum Reichskanzler gewählt wurde, hatte ich ihn als Spinner abgetan, und danach hatte ich ihm die Pest an den Hals gewünscht. Aber jetzt, als ich auf dem Bett lag, in dem er neun Monate lang seine autokratischen Träume geträumt hatte, war es mir unmöglich, den Mann mit den blauen Augen zu ignorieren, der da am Fenster stand.
    Ich beobachtete, wie er sich wieder an den Tisch setzte, nach dem Stift griff und zu schreiben begann, eifrig Blatt um Blatt mit hitzigem Gekritzel füllte und dann jede fertige Seite zu Boden fegte, sodass ich sie aufheben und lesen konnte, was er geschrieben hatte. Die ersten Sätze ergaben keinen Sinn, doch allmählich wurden sie kohärenter, boten kurze Einblicke in das Ausnahmephänomen, das Hitlers Gedankenwelt war. Alles, was er schrieb, basierte auf dem unumstößlichen Fundament seiner eigenen Logik und offenbarte sich als perfekte, bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Anleitung zu Taten des Bösen. Es war, als säße ich in derselben Irrenhauszelle wie der wahnsinnige Doktor Mabuse, zusammen mit den Geistern derer, die er vernichtet hatte, und beobachtete ihn bei der Niederschrift seines verbrecherischen Vermächtnisses.
    Schließlich hörte Hitler auf zu schreiben, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und drehte sich zu mir um. Ich sah das als meine Chance, ihn zur Rede zu stellen, und versuchte fieberhaft, im Kopf eine Frage zu formulieren, wie sie ihm Robert Jackson, der amerikanische Hauptankläger in Nürnberg, hätte stellen können. Aber das war schwieriger, als ich gedacht hatte. Mir fiel keine einzige Frage ein, die über ein schlichtes «Warum» hinausging, und ich war noch immer in diesen Gedanken vertieft, als er mich ansprach: «Wie ging’s dann weiter?»
    Ich unterdrückte ein Gähnen. «Sie meinen, nach Le Vernet?»
    «Natürlich.»
    «Wir kehrten nach Toulouse zurück», sagte ich. «Von da ging

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