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Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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unheilige Handlung ist, das Blut derer wegzuwaschen, die wir lieben. Vielleicht, weil das Aufstellen eines Gedenksteins auf einem Grab etwas Atavistisches ist, das einzig und allein uns selbst nützt (wie auch die Primitiven beschweren wir die Toten und das Gedenken an sie sicher mit einer Schicht Erde). Vielleicht aber auch, weil das einzig passende Andenken an jene, die gewaltsam gestorben sind, die Erinnerung an den Schmerz ist, den sie hinterlassen haben.
    Ich lud fünf Patronen in die Trommel des 38er, ließ den Hahn über der leeren Kammer einrasten und verstaute die Waffe in meinem Koffer. Ich trank eine Tasse Kaffee und heiße Milch am Küchentisch, nahm meine 45er Automatik auseinander, ölte sie, reinigte den Lauf mit einer Bürste, setzte sie wieder zusammen und schob einen vollen Ladestreifen ins Magazin. Dann riß ich einen neuen Karton mit Holzspitzgeschossen auf und stopfte sie nacheinander mit dem Daumen in einen zweiten Ladesteifen. Sie lagen mir schwer und rund in der Hand, und sie schnappten glatt gegen die straffe Ladefeder. Wenn sie sich flachdrückten, konnten sie Löcher von der Größe von Crocketbällen in eine Eichentür reißen, die ganze Fahrgastzelle eines Autos verwüsten und einem Menschen so schwere Wunden beibringen, daß kein Arzt sie heilen konnte.
    Düstere Phantasien? Ja, in der Tat. Schußwaffen töten. Das ist ihre Funktion. Ich hatte noch nie eine Situation mutwillig so zugespitzt, daß sie ein Ende mit Schrecken nahm. Dafür hatte stets die Gegenseite gesorgt. Ich war sicher, es würde auch diesmal so kommen.
    Ich rief das Büro des Sheriffs an. Er war nicht da. Ich hinterließ eine Nachricht, daß ich unterwegs nach New Orleans sei und mich in ein oder zwei Tagen bei ihm melden würde. Ich schaute zu Alafair hinein, die mit dem Daumen im Mund vor dem Fensterventilator schlummerte, nahm dann meinen Koffer, zog mir den Regenmantel über den Kopf und rannte durch Schlammpfützen und unter den tropfnassen Bäumen hindurch zu meinem Pickup.
    Die Sonne stand schon hoch, doch es regnete noch immer, als ich gegen elf Uhr in New Orleans ankam. Ich parkte meinen kleinen Laster an der Basin Street und ging zu Fuß zum alten St. Louis Cemetery No. 1, während der warme Regen auf meine Hutkrempe trommelte. Da waren Reihen um Reihen von Gruften aus weißgestrichenen Ziegeln, die Gräber in Bodenhöhe oft so tief in die Erde eingesunken, daß man die französischen Aufschriften auf den gesprungenen und verwitterten Marmortafeln nicht mehr lesen konnte, die die Särge bedeckten. Glaskrüge und verrostete Blechdosen, gefüllt mit verdorrten Blumen, lagen am Boden verstreut. Viele der Toten waren Mitte des 19. Jahrhunderts während einer Gelbfieberepedemie in der Stadt umgekommen, und man hatte die Leichen auf Karren geworfen, wie Feuerholz übereinandergestapelt, sie mit Kalk überstreut und von Kettensträflingen beerdigen lassen, denen man gestattete, sich zu betrinken, bevor sie ihr Werk verrichteten. Manche Gruft war von Plünderern ausgeraubt worden. Knochenstücke, verschimmeltes Tuch und verrottetes Holz ragten noch aus dem Boden. Bei Regen oder in kalten Nächten krochen Wermutbrüder hinein und schliefen dort in fötaler Stellung, eine Flasche Chemiewein fest an die Brust gedrückt.
    Hier lagen die Reichsten und Berühmtesten aus New Orleans: französische und spanische Gouverneure, bei Duellen oder in der Schlacht gegen die Engländer bei Chalmette getötete Aristokraten, Sklavenhändler und Kapitäne von Segelklippern, die die Yankee-Blockade der Stadt durchbrochen hatten. Ich fand sogar das Grab von Dominique You, dem napoleonischen Söldner und Artilleriekommandanten bei Jean Lafitte. Doch an diesem Tag interessierte mich nur ein einziges Grab, und selbst als ich es gefunden hatte, konnte ich nicht sicher sein, daß Marie Laveau auch wirklich darin lag (einige Leute behaupteten, sie sei in einem alten Steinofen zwei Querstraßen weiter, auf dem St. Louis Cemetery No. 2, beerdigt worden).
    Mitte des 19. Jahrhunderts war sie berühmt gewesen als Voodookönigin von New Orleans. Sie galt als Hexe, eine Frau von den Inseln, die schwarze Magie praktizierte, eine opportunistische Mulattin. Dessen ungeachtet war ihre Gefolgschaft groß gewesen, und ich vermutete, daß es in dieser Gegend mindestens noch einen Mann gab, der Erde von ihrem Grab kratzte und sie in einem roten Flanellbeutel bei sich trug, die Zukunft befragte, indem er Schweineknochen auf das Dach ihrer Grabstätte

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