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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zurückkehren.« Geschickt suchte er mit seiner rechten und seiner künstlichen Hand die erforderlichen Münzen zusammen und steckte sie in den Fahrkartenautomaten.
    Ich stand da und sah dem Bus nach, bis er um die nächste Ecke bog. Als er verschwunden war, verspürte ich eine seltsame Leere in mir, eine Hilflosigkeit, wie sie ein kleines Kind empfinden mag, das in einer unbekannten Umgebung allein gelassen worden ist.
    Dann ging ich nach Haus zurück, setzte mich auf die Wohnzimmercouch und öffnete das Paket, das Herr Honda mir als Andenken hinterlassen hatte. Im Schweiße meines Angesichts entfernte ich eine sorgfältig versiegelte Lage Einschlagpapier nach der anderen, bis zuletzt eine feste Pappschachtel zum Vorschein kam. Es war eine elegante Cutty-Sark-Geschenkschachtel, aber sie war viel zu leicht, als daß sie eine Flasche Whisky hätte enthalten können. Ich öffnete sie und fand darin nichts. Sie war absolut leer. Alles, was Herr Honda mir hinterlassen hatte, war eine leere Schachtel.

ZWEITES BUCH
      
    VOGEL ALS PROPHET
      
    JULI BIS OKTOBER 1984

1
    S O KONKRET WIE MÖGLICH
    APPETIT IN DER LITERATUR
     
    Kumiko kam an dem Abend nicht mehr nach Hause. Ich blieb bis Mitternacht auf, las, hörte Musik und wartete auf sie, aber schließlich gab ich es auf und ging zu Bett. Ich schlief bei brennendem Licht ein. Um sechs wachte ich auf. Draußen vor dem Fenster war es schon heller Tag. Hinter dem dünnen Vorhang zwitscherten die Vögel. Neben mir im Bett war keine Spur von meiner Frau. Das weiße Kissen lag locker aufgeschüttelt da; soweit ich sehen konnte, hatte während der Nacht kein Kopf darauf geruht. Ihr frischgewaschener Sommerpyjama lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Nachttisch. Ich hatte ihn gewaschen. Ich hatte ihn zusammengefaltet. Ich schaltete die Lampe an meiner Seite des Bettes aus und atmete tief durch, wie um den Fluß der Zeit zu regulieren. Noch im Pyjama machte ich einen Rundgang durch das Haus. Zuerst ging ich in die Küche, dann sah ich im Wohnzimmer nach und warf einen Blick in Kumikos Zimmer. Ich probierte es im Bad und öffnete zur Sicherheit auch die Schränke. Nirgends eine Spur von ihr. Das Haus wirkte stiller als gewöhnlich. Ich hatte das Gefühl, einzig durch mein Herumlaufen die friedliche Harmonie des Ortes zu stören, und das ohne jeden vernünftigen Grund.
    Mehr konnte ich nicht tun. Ich ging in die Küche, füllte den Wasserkessel und zündete das Gas an. Als das Wasser kochte, brühte ich Kaffee auf und setzte mich mit einer ersten Tasse an den Küchentisch. Dann machte ich Toast und aß dazu etwas Kartoffelsalat aus dem Kühlschrank. Das war das erste Mal seit Jahren, daß ich allein frühstückte. Ja, wenn ich’s mir recht überlegte, hatten wir während unserer ganzen Ehe, wenn man von einer Geschäftsreise absah, kein einzigesmal nicht zusammen gefrühstückt. Das gemeinsame Mittagessen war häufig ausgefallen, manchmal sogar das Abendessen, nie aber das Frühstück. Was das Frühstück anging, hatten wir eine stillschweigende Übereinkunft: Es war für uns fast ein Ritual. Egal, wie spät wir schlafen gingen, wir standen immer früh genug auf, um eine richtige Morgenmahlzeit vorbereiten und sie gemeinsam in Ruhe genießen zu können.
    Aber an jenem Morgen war Kumiko nicht da. Ich trank meinen Kaffee und aß meinen Toast allein, schweigend. Mein einziges Gegenüber war ein leerer Stuhl.
    Ich sah ihn an und aß und dachte an das Eau de Toilette, das sie am Morgen zuvor getragen hatte. Ich dachte an den Mann, der es ihr geschenkt haben mochte. Ich stellte mir vor, daß sie jetzt irgendwo eng umschlungen mit ihm im Bett lag. Ich sah, wie seine Hände ihren nackten Körper liebkosten. Ich sah ihren porzellanenen Rücken, so wie ich ihn an dem Morgen gesehen hatte, die glatte Haut unter dem aufsteigenden Reißverschluß.
    Der Kaffee schien irgendwie seifig zu schmecken. Ich wunderte mich. Kurz nach dem ersten Schluck bemerkte ich einen unangenehmen Nachgeschmack. Ich fragte mich, ob meine seelische Verfassung mir einen Streich spielte, aber der zweite Schluck schmeckte genauso. Ich leerte die Tasse in die Spüle und goß mir neuen Kaffee in eine saubere Tasse ein. Wieder der Seifengeschmack. Ich konnte mir nicht denken, woher der kommen sollte. Ich hatte die Kanne gut ausgespült, und mit dem Wasser war alles in Ordnung. Aber der Geschmack - oder Geruch - war unverkennbar: Es konnte nur Seife sein - oder höchstens noch Handlotion. Ich goß den ganzen Kaffee weg

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