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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mich verständlich aus? Ich brauche etwas, was ich sehen und anfassen kann.«
    Ich hörte in der Leitung das Geräusch von etwas, das auf den Fußboden fiel: etwas nicht sehr Schweres - vielleicht eine einzelne Perle -, das auf einen Holzfußboden fiel. Dem folgte ein reibendes Geräusch, als halte jemand ein Blatt Pauspapier zwischen den Fingerspitzen und reiße einmal fest daran. Diese Bewegungen schienen sich weder allzunah am Telefon noch weit davon entfernt zu ereignen, aber sie waren für Malta Kano offenbar nicht von Interesse. »Ich verstehe«, sagte sie in flachem, ausdruckslosem Ton. »Etwas Konkretes.«
    »Genau. So konkret wie möglich.«
    »Warten Sie auf einen Anruf.«
    »Ich tu die ganze Zeit nichts anderes, als auf einen Anruf zu warten.«
    »Sie müßten schon bald von jemandem angerufen werden, dessen Name mit O anfängt.«
    »Weiß dieser Anrufer etwas über Kumiko?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich erzähle Ihnen das nur, weil Sie gesagt haben, Sie wären mit allem zufrieden, was Sie an Fakten bekommen können. Und hier ist noch eins: In nicht allzu langer Zeit wird ein Halbmond mehrere Tage dauern.«
    »Ein Halbmond?« fragte ich. »Sie meinen, der Mond am Himmel?«
    »Ja, Herr Okada, der Mond am Himmel. Auf alle Fälle sollten Sie warten. Warten ist alles. Dann Aufwiederhören. Sie hören bald wieder von mir.« Und sie legte auf.
     
    Ich holte unser Adressenbüchlein aus meinem Schreibtisch und schlug unter O nach. Es gab genau vier Namen, in Kumikos ordentlicher kleiner Handschrift eingetragen. Der erste war mein Vater, Tadao Okada. Dann kamen ein alter Kommilitone von mir, Onoda, ein Zahnarzt namens Otsuka und Omura, der Getränke- und Spirituosenhändler unseres Viertels.
    Das Spirituosengeschäft konnte ich gleich ausschließen. Es war zehn Minuten zu Fuß vom Haus entfernt, und abgesehen von den seltenen Gelegenheiten, wo wir einen Kasten Bier bestellten, hatten wir mit dem Laden nichts Näheres zu tun.
    Der Zahnarzt schied gleichfalls aus. Ich war zwei Jahre vorher wegen eines Backenzahns hingegangen, aber Kumiko war noch nie dort gewesen. Sie war in unserer ganzen Ehe überhaupt nie beim Zahnarzt gewesen. Meinen Freund Onoda hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Nach dem College hatte er angefangen, bei einer Bank zu arbeiten, war im zweiten Jahr in die Zweigstelle Sapporo versetzt worden und wohnte seitdem auf Hokkaido. Jetzt war er lediglich einer von den Leuten, mit denen ich Neujahrskarten tauschte. Ich konnte mich nicht erinnern, ob Kumiko ihn je kennengelernt hatte.
    Damit blieb mein Vater übrig, aber daß Kumiko näher mit ihm zu tun haben sollte, war absolut unvorstellbar. Er hatte sich nach dem Tod meiner Mutter wiederverheiratet, und ich hatte ihn in all den Jahren seither nicht gesehen, ebensowenig mit ihm korrespondiert oder am Telefon gesprochen. Kumiko war ihm kein einziges Mal begegnet.
    Als ich das Adressenbüchlein durchblätterte, wurde mir wieder bewußt, wie wenig wir beide mit anderen Leuten zu tun gehabt hatten. Abgesehen von ein paar nützlichen Kontakten mit Kollegen, hatten wir in den sechs Jahren unserer Ehe praktisch keinerlei nähere Beziehungen zu anderen Menschen gehabt. Wir hatten ein zurückgezogenes Leben geführt: nur Kumiko und ich. Ich beschloß, mir zu Mittag wieder Spaghetti zu kochen. Nicht, daß ich auch nur eine Spur hungrig gewesen wäre. Aber ich konnte nicht einfach so weiter auf dem Sofa herumsitzen und darauf warten, daß das Telefon klingelte. Ich mußte mich betätigen, mußte anfangen, auf irgendein Ziel hinzuarbeiten. Ich füllte Wasser in einen Topf, zündete das Gas an, und bis es kochte, würde ich die Tomatensauce machen und mir dabei Musik anhören. Im Radio lief eine unbegleitete Violinsonate von Bach. Die Aufnahme war hervorragend, aber irgend etwas störte mich daran. Ich wußte nicht, ob es die Schuld des Violinisten war oder ob es an meiner gegenwärtigen seelischen Verfassung lag, aber ich schaltete das Radio wieder aus und kochte ohne Musik weiter. Ich erhitzte Olivenöl in einem Topf, gab Knoblauch hinein und fügte feingeschnittene Zwiebel hinzu. Als diese zu bräunen begann, gab ich die Tomaten hinzu, die ich in der Zwischenzeit kleingehackt und ausgedrückt hatte. Es tat gut, sich manuell zu betätigen, Dinge zu schneiden und zu braten. Es gab mir das greifbare Gefühl, etwas zu leisten. Ich hatte Freude an den Geräuschen und Gerüchen. Als das Wasser kochte, salzte ich es und gab eine Faustvoll Spaghetti hinein.

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