Mister Aufziehvogel
Kumiko Okada?«
»Richtig«, sagte ich. »Kumiko Okada ist meine Frau.«
»Und Frau Okadas älterer Bruder ist Noboru Wataya?«
»Wieder richtig«, sagte ich mit bewundernswerter Selbstbeherrschung. »Noboru Wataya ist der ältere Bruder meiner Frau.«
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Mein Name ist Kano.«
Ich wartete darauf, daß sie weiterredete. Die plötzliche Erwähnung von Kumikos älterem Bruder hatte mich argwöhnisch gemacht. Ich nahm den Bleistift, der neben dem Telefon lag, und kratzte mich mit dem stumpfen Ende im Nacken.
Fünf Sekunden oder mehr verstrichen, ohne daß die Frau etwas gesagt hätte. Ja, es war überhaupt kein Geräusch zu hören, als habe die Frau die Hand auf die Sprechmuschel gelegt und rede mit jemandem, der neben ihr stand.
»Hallo«, sagte ich, jetzt etwas beunruhigt.
»Bitte entschuldigen Sie, mein Herr«, sprudelte die Stimme der Frau hervor. »In diesem Fall muß ich Sie um Erlaubnis ersuchen, Sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anzurufen.«
»Jetzt warten Sie mal«, sagte ich. »Das ist doch -«
In diesem Augenblick wurde die Verbindung unterbrochen. Ich starrte den Hörer an und nahm ihn dann wieder ans Ohr. Kein Zweifel, die Frau hatte aufgelegt.
Irgendwie unzufrieden setzte ich mich wieder an den Küchentisch, trank meinen Kaffee und aß mein Sandwich. Bis zu dem Moment, als das Telefon geklingelt hatte, hatte ich an etwas gedacht, aber jetzt konnte ich mich nicht mehr erinnern, was es gewesen war. Als ich mit der Rechten gerade das Messer hatte anlegen und das Sandwich entzweischneiden wollen, hatte ich ohne jeden Zweifel an etwas gedacht. An etwas Wichtiges, woran ich mich seit Ewigkeiten - ohne jeden Erfolg - zu erinnern versucht hatte. Genau in dem Moment, als ich das Sandwich hatte entzweischneiden wollen, war es mir eingefallen, aber jetzt war es weg. Während ich an meinem Sandwich kaute, versuchte ich mit aller Macht, es wieder zurückzuholen. Aber es kam und kam nicht. Es war in die dunkle Region meines Geistes zurückgekehrt, wo es bis zu diesem Augenblick gelebt hatte.
Ich beendete meine Mahlzeit und war am Abräumen, als das Telefon wieder klingelte. Diesmal nahm ich sofort ab.
Wieder sagte eine Frauenstimme »Hallo«, aber diesmal war es Kumiko. »Wie geht’s?« fragte sie. »Fertig gegessen?«
»M-hm. Was gab’s bei dir?«
»Nichts«, sagte sie. »Keine Zeit gehabt. Ich werd mir wohl später ein Sandwich holen. Was hast du gegessen?« Ich beschrieb ihr mein Sandwich.
»Schön«, sagte sie ohne den leisesten Anflug von Neid. »Ach, übrigens, was ich heute morgen vergessen hab, dir zu sagen. Ein Fräulein Kano wird dich anrufen.«
»Sie hat schon angerufen«, sagte ich. »Vor ein paar Minuten. Sie hat nichts anderes getan, als unsere Namen zu erwähnen - meinen und deinen und den deines Bruders - und dann aufzulegen. Hat mit keinem Wort gesagt, was sie eigentlich wollte. Was sollte das Ganze?«
»Sie hat aufgelegt?«
»Meinte, sie würde sich wieder melden.«
»Gut, und wenn sie sich wieder meldet, möchte ich, daß du alles tust, worum sie dich bittet. Es ist wirklich wichtig. Ich glaube, du wirst dich mit ihr treffen müssen.«
»Wann? Heute?«
»Was spricht dagegen? Hast du irgendwelche Pläne für den Nachmittag? Sollst du dich mit jemand treffen?«
»Nö. Keinerlei Pläne.« Gestern nicht, heute nicht, morgen nicht: überhaupt keine Pläne. »Aber wer ist diese Kano? Und was will sie von mir? Ich hätte gern wenigstens eine ungefähre Vorstellung, bevor sie wieder anruft. Wenn es um einen Job für mich geht, der irgendwie mit deinem Bruder zusammenhängt, vergiß es. Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Das weißt du.«
»Nein, das hat nichts mit einem Job zu tun«, sagte sie mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. »Es geht um den Kater.«
»Den Kater?«
»Oh, tut mir leid, ich muß schleunigst weg. Da wartet jemand auf mich. Ich hätte mir eigentlich nicht die Zeit nehmen dürfen, anzurufen. Wie gesagt, ich hab noch nicht mal zu Mittag gegessen. Können wir jetzt Schluß machen? Ich meld mich wieder, sobald ich etwas Luft habe.«
»Hör mal, ich weiß, wieviel du zu tun hast, aber du kannst mich doch nicht so hängenlassen. Ich will wissen, was da läuft. Was ist mit dem Kater? Ist diese Kano -«
»Tu bitte einfach, was sie sagt, ja? Verstanden? Die Sache ist ernst. Ich möchte, daß du zu Haus bleibst und auf ihren Anruf wartest. Muß jetzt weg.« Und weg war sie.
Als das Telefon um halb drei
Weitere Kostenlose Bücher