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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Tiere, nun nur noch Kadaver, wurden von den chinesischen Arbeitern aus den Käfigen geschleift, auf Karren geladen und in ein leeres Lagerhaus geschafft. Dort wurden sie, nach Art und Größe sortiert, nebeneinander auf den Boden gelegt. Nachdem der Leutnant die Operation als beendet betrachten konnte, kehrte er in das Büro des Zoodirektors zurück und ließ sich die nötigen Papiere unterschreiben. Dann formierten sich die Soldaten und marschierten mit dem gleichen metallischen Geklirr, mit dem sie gekommen waren, geschlossen davon. Die chinesischen Arbeiter spritzten mit Wasserschläuchen die schwarzen Blutflecken vom Boden der Käfige und schrubbten mit Bürsten die Fetzen von Tierfleisch ab, die hier und da an den Wänden klebten. Als das erledigt war, fragten die Arbeiter den Tierarzt mit dem blauschwarzen Mal auf der Wange, wie er mit den Tierkadavern zu verfahren gedenke. Der Arzt wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Normalerweise rief er, wenn ein Tier im Zoo starb, einen Fachmann und überließ die Sache ihm. Aber jetzt, da sich die Hauptstadt auf einen blutigen Kampf vorbereitete und jeder verzweifelt versuchte, als erster aus dieser todgeweihten Stadt herauszukommen, konnte man nicht einfach irgendwo anrufen und hoffen, daß sofort jemand gelaufen kam und Tierkadaver beseitigte. Andererseits war Hochsommer, und die Kadaver würden sehr schnell in Verwesung übergehen. Schon jetzt waren sie schwarz von Fliegen. Am besten wäre es gewesen, sie zu vergraben - was eine langwierige Arbeit gewesen wäre, selbst wenn der Zoo über die nötigen Maschinen verfügt hätte. Aber mit den begrenzten Mitteln, die ihnen jetzt zur Verfügung standen, eine Grube auszuheben, die alle Kadaver aufnehmen konnte, war völlig unmöglich.
    Da sagten die chinesischen Arbeiter zum Tierarzt: Herr Doktor, wenn Sie uns erlauben, die toten Tiere so mitzunehmen, wie sie sind, kümmern wir uns darum. Wir haben viele Freunde, die uns helfen werden, und wir wissen ganz genau, wo wir die Sache erledigen können. Wir schaffen sie aus der Stadt raus und beseitigen sie restlos. Sie werden keine Scherereien bekommen. Aber als Gegenleistung möchten wir die Felle und das Fleisch haben. Vor allem das Bärenfleisch: Man wird es uns aus den Händen reißen. Bestimmte Teile vom Bären und vom Tiger sind gut als Arznei - sie werden teuer gehandelt. Und obwohl es jetzt zu spät ist: Es wäre besser gewesen, wenn man nur auf den Kopf der Tiere gezielt hätte. Dann wären die Felle eine ganze Menge mehr wert. Die Soldaten waren solche Anfänger! Wenn Sie es uns nur gleich überlassen hätten, wir hätten es nicht so stümperhaft gemacht. Der Tierarzt ging auf den Handel ein. Er hatte keine andere Wahl. Schließlich war es ihr Land.
    Bald darauf erschienen zehn Chinesen mit mehreren leeren Karren. Sie schleiften die Tierkörper aus dem Lager heraus, stapelten sie auf die Karren, zurrten sie fest und deckten sie mit Strohmatten ab. Sie wechselten dabei kaum ein Wort miteinander. Ihre Gesichter waren völlig ausdruckslos. Als sie die Wagen fertig beladen hatten, zogen sie sie fort. Die alten Karren ächzten unter der Last der Tiere. Und so endete das Massaker - das stümperhafte Massaker, wie die Chinesen es genannt hatten - von Zootieren, an einem heißen Augustnachmittag. Zurück blieben nur mehrere saubere - leere - Käfige. Noch immer in heller Aufregung, kreischten sich die Affen weiter in ihrer unverständlichen Sprache allerlei Dinge zu. Die Dachse trabten in ihrem engen Käfig rastlos hin und her. Die Vögel schlugen verzweifelt mit den Flügeln, daß ringsum Federn flogen. Und die Zikaden sägten ihren unablässigen Gesang.
     
    Nachdem die Soldaten das Gemetzel beendet hatten und zum Hauptquartier zurückgekehrt waren, und nachdem die letzten beiden chinesischen Arbeiter, vor ihre mit Tierleichen beladenen Karren gespannt, irgendwohin verschwunden waren, breitete sich im Zoo die Atmosphäre eines leergeräumten Hauses aus. Der Tierarzt setzte sich auf den Rand eines trockenen Springbrunnens, sah zum Himmel hinauf und betrachtete den Pulk von scharf konturierten Wolken, die da oben vorüberschwebten. Dann lauschte er den Zikaden. Der Aufziehvogel hatte aufgehört zu rufen, aber das fiel dem Tierarzt nicht auf. Er hatte den Aufziehvogel überhaupt nicht gehört. Der einzige, der ihn gehört hatte, war der arme junge Soldat, der später in einem sibirischen Kohlenbergwerk erschlagen werden würde. Der Tierarzt zog ein schweißfeuchtes

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