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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Jahres darauf (des Jahres der Olympischen Spiele von Tokio) geboren wurde, war Zimt. »Der Name war doch Zimt, oder?« Kaum war Zimt geboren, holte Muskat ihre Mutter ins Haus, damit die sich um ihn kümmerte. Sie selbst mußte von früh bis spät arbeiten und hatte keine Zeit, sich um Babys zu kümmern. So wurde Zimt vornehmlich von seiner Großmutter großgezogen.
    Muskat war sich auch später nie ganz sicher, ob sie ihren Mann je wirklich - als Mann - geliebt hatte. Um das beurteilen zu können, fehlte ihr der Maßstab, und das gleiche galt umgekehrt auch für ihren Mann. Was sie zusammengeführt hatte, war die Macht des Zufalls und ihre gemeinsame Passion für Modedesign gewesen. Dennoch waren ihre ersten zehn Ehejahre für beide eine fruchtbare Zeit. Gleich nach der Heirat kündigten sie beide und eröffneten ihr eigenes Modeatelier in einem kleinen, nach Westen gehenden Gebäude direkt hinter dem Aoyama-Boulevard. Die Räume dort, schlecht ventiliert und ohne Klimaanlage, wurden im Sommer so heiß, daß den beiden vor Schweiß der Bleistift aus den Fingern glitt. Anfangs gingen die Geschäfte nicht gerade gut. Muskat wie auch ihr Mann waren in geschäftlichen Dingen von erschütternder Ahnungslosigkeit, was zur Folge hatte, daß sie von skrupellosen Leuten in der Branche leicht übervorteilt wurden; oder sie ließen sich aus Unkenntnis der üblichen Vorgehensweise Bestellungen entgehen oder leisteten sich unvorstellbar elementare Fehler. Ihre Schulden erreichten schließlich eine solche Höhe, daß ihnen kein anderer Ausweg zu bleiben schien, als bei Nacht und Nebel zu verschwinden. Die Wende kam, als Muskat zufällig einen fähigen und integren Manager kennenlernte, der ihr Talent erkannte und ihnen seine Dienste anbot. Von da an entwickelte sich die Firma so gut, daß ihnen alle früheren Schwierigkeiten schon bald wie ein böser Traum vorkamen. Die Absatzzahlen verdoppelten sich von Jahr zu Jahr, bis aus der ehemals kleinen Firma schließlich 1970 ein märchenhaft erfolgreiches Unternehmen geworden war - ein so erfolgreiches, daß sogar das arrogante, unnahbare junge Paar, das dieses Unternehmen aus dem Nichts geschaffen hatte, nur staunen konnte. Sie stellten weitere Mitarbeiter ein, zogen in ein großes Gebäude am Boulevard um und eröffneten in so mondänen Vierteln wie der Ginza, Aoyama und Shinjuku eigene Boutiquen. Ihre Entwürfe erschienen immer häufiger in den Medien, und ihre Kollektionen wurden weithin bekannt.
     
    Als die Firma eine bestimmte Größe erreicht hatte, veränderte sich die Art und Weise, wie Muskat und ihr Mann sich die Aufgaben teilten. Auch wenn das Entwerfen und Fertigen von Kleidung einerseits als kreativer Prozeß gelten konnte, war es doch, anders als die Bildhauerei oder die Schriftstellerei, auch ein Geschäft, von dem das Schicksal vieler Menschen abhing. Man konnte nicht einfach in seinem Kämmerlein bleiben und entwerfen, wonach einem gerade der Sinn stand.
    Jemand mußte an die Öffentlichkeit treten und das »Gesicht« des Unternehmens repräsentieren; und dies wurde um so notwendiger, je mehr das Geschäftsvolumen zunahm. Einer von ihnen würde sich auf Parties und Modenschauen sehen lassen müssen, dort kurze Reden halten, mit den Gästen plaudern und den Medienleuten Interviews geben. Muskat hatte nicht die Absicht, diese Rolle zu übernehmen, und so mußte ihr Mann in den sauren Apfel beißen. Menschenscheu, wie er war, empfand er diese Aufgabe anfangs als Tortur. Vor Fremden zu reden bereitete ihm die größten Schwierigkeiten, und von jeder solchen Veranstaltung kam er erschöpft zurück. Nach einem halben Jahr allerdings stellte er fest, daß er unter diesem Leben zunehmend weniger litt. Er war noch immer kein großer Redner oder Causeur, aber nun reagierten die Leute auf sein brüskes und verlegenes Verhalten anders als in seinen jüngeren Jahren; jetzt fanden sie es offenbar anziehend. Sie verstanden seine kurz angebundene Art (die von seinem introvertierten Wesen herrührte) nicht mehr als Zeichen verächtlicher Arroganz, sondern als Ausdruck eines sympathischen, leicht weltfremden Künstlertums an. Er begann diese neue Situation, in der er sich auf einmal befand, sogar zu genießen, und schon bald wurde er als kulturelle Leitgestalt seiner Zeit gefeiert.
    »Sie haben seinen Namen wahrscheinlich schon gehört«, sagte Muskat. »Aber in Wirklichkeit stammten die Modelle inzwischen zu zwei Dritteln von mir. Seine kühnen, originellen Ideen hatten in der

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