Mister Aufziehvogel
Branche eingeschlagen, und er hatte davon schon mehr als genug produziert, um uns für eine ganze Weile zu versorgen. Meine Aufgabe bestand darin, diese Ideen auszuarbeiten und eigentlich erst zu realisieren. Wie groß das Unternehmen auch wurde, wir stellten nie andere Designer ein. Unsere Mitarbeiterzahlen wuchsen, aber die entscheidende Arbeit machten wir weiterhin selbst. Wir wollten nichts anderes, als die Kleider zu machen, die uns vorschwebten, ohne uns den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Leute sie anschließend wohl kaufen würden. Wir verzichteten auf Marktforschung, Kostenkalkulation oder strategische Planung. Wenn wir uns entschlossen hatten, etwas so und so zu machen, dann entwarfen wir es auch genau so, verwendeten die besten Materialien, die wir bekommen konnten, und nahmen uns für die Fertigung so viel Zeit, wie wir brauchten. Was andere Modehäuser in zwei Schritten machen konnten, machten wir in vier. Wo sie drei Meter Stoff nahmen, verarbeiteten wir vier. Wir prüften persönlich jedes einzelne Stück, das unser Atelier verließ. Was wir nicht verkauften, vernichteten wir. Discountpreise gab es bei uns nicht. Wir waren natürlich alles andere als billig. Die Branche hielt uns für verrückt, aber unsere Kreationen wurden zu einem Symbol dieser Ära, auf einer Stufe mit Peter Max, Woodstock, Twiggy, Easy Rider und so weiter. Was machte es uns damals Spaß, Kleider zu entwerfen! Wir konnten uns die wildesten Phantasien leisten, und unsere Kunden zogen begeistert mit. Es war ein Gefühl, als wären uns gewaltige Schwingen gewachsen und wir könnten hinfliegen, wohin wir nur wollten.«
Doch gerade als die Firma richtig in Schwung kam, begannen Muskat und ihr Mann sich auseinanderzuleben. Selbst wenn sie Seite an Seite arbeiteten, spürte sie gelegentlich, daß sein Herz in weiter Ferne umherschweifte. Seine Augen hatten jenen hungrigen Glanz von einst verloren. Die Anfälle von Jähzorn, in denen er früher häufig mit Gegenständen um sich geworfen hatte, kamen jetzt fast nicht mehr vor. Statt dessen ertappte sie ihn oft dabei, wie er, anscheinend in Gedanken versunken, ins Leere starrte. Außerhalb des Ateliers wechselten sie kaum noch ein Wort miteinander, und die Zahl der Nächte, in denen er überhaupt nicht mehr nach Haus kam, nahm zu. Muskat spürte, daß es jetzt mehrere Frauen in seinem Leben gab, aber das bereitete ihr keinen Kummer. Sie hielt es für unvermeidlich, da sie seit langem (vor allem, weil Muskat jedes sexuelle Bedürfnis verloren hatte) nicht mehr miteinander schliefen.
Im Spätherbst 1975, als Muskat vierzig und Zimt elf war, wurde Muskats Mann ermordet. Sein entsetzlich verstümmelter Leichnam wurde in einem Hotelzimmer in Akasaka aufgefunden. Das Zimmermädchen fand ihn, als es um elf mit dem Hauptschlüssel öffnete, um das Zimmer aufzuräumen. In der Toilette sah es aus wie in einem Schlachthaus. Der Leichnam war fast bis auf den letzten Tropfen ausgeblutet, außerdem waren Herz, Magen, Leber, beide Nieren und die Bauchspeicheldrüse verschwunden, als habe der Mörder diese Organe herausgeschnitten und in Plastiktüten oder ähnlichen Behältern mitgenommen. Der Kopf war vom Rumpf abgetrennt und so auf den Klosettdeckel gesetzt worden, daß das völlig zerfetzte Gesicht nach vorn sah. Der Mörder hatte offenbar zuerst den Kopf abgetrennt und zerschnitten und hatte sich anschließend an die Organentnahme gemacht.
Diese fachgerechte Ausweidung eines Menschen mußte äußerst scharfe Werkzeuge und ein hohes Maß an technischem Können erfordert haben. Mehrere Rippen hatten herausgesägt werden müssen - eine zeitraubende und blutige Angelegenheit. Vollkommen rätselhaft war, warum sich der Täter eine solche Mühe gemacht hatte.
An diesen Festtagen hatte ein ständiges Kommen und Gehen von Gästen geherrscht, und so konnte sich der Empfangschef nur noch daran erinnern, daß Muskats Mann am Abend davor um zehn in Begleitung einer Frau angekommen war und sich auf sein Zimmer im elften Stock begeben hatte. Seine Begleiterin sei eine hübsche, etwa dreißigjährige Frau gewesen, nicht sehr groß und in einem roten Mantel. Außer einer kleinen Handtasche habe sie nichts bei sich gehabt. Das Bett wies Spuren von Geschlechtsverkehr auf. Bei den Haaren und Sekreten, die sich auf den Laken fanden, handelte es sich um Schamhaare und Sperma des Ermordeten. Das Zimmer war voller Fingerabdrücke, doch gerade, daß es so viele waren, machte sie für die Ermittlungsarbeit
Weitere Kostenlose Bücher