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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ein Ministeramt bekleidet, und in seinem Wahlkreis schien er großen Einfluß besessen zu haben, aber in der nationalen Politik hatte er nie eine führende Rolle gespielt. Und jetzt hatte sein Neffe, Noboru Wataya, sein politisches Erbe angetreten.
    Ich legte das Buch beiseite, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte durch das Fenster in die ungefähre Richtung des Eingangstores. Bald würde sich das Tor öffnen, und der Mercedes würde, mit Zimt am Steuer, hereinfahren. Er würde eine weitere »Klientin« mitbringen. Diese »Klientinnen« und mich verband das Mal an meiner Wange. Zimts Großvater (Muskats Vater) und mich verband gleichfalls das Mal an meiner Wange. Zimts Großvater und Leutnant Mamiya verband die Stadt Hsin-ching. Leutnant Mamiya und den hellsichtigen Herrn Honda verband die geheime Expedition in das mandschurisch-mongolische Grenzgebiet, und Kumiko und ich hatten Herrn Hondas Bekanntschaft durch Noboru Watayas Familie gemacht. Leutnant Mamiya und mich verbanden unsere Erlebnisse in unserem jeweiligen Brunnen - seiner in der Mongolei, meiner im Garten des Hauses, in dem ich mich gerade befand. Gleichfalls auf diesem Anwesen hatte früher ein Offizier gewohnt, der in China stationiert gewesen war. Alle diese miteinander zusammenhängenden Personen bildeten gleichsam einen Kreis, in dessen Mittelpunkt sich die Mandschurei der Vorkriegszeit, das ostasiatische Festland und der kurze Krieg von 1939 bei Nomonhan befanden. Aber warum Kumiko und ich in diese historische Kette von Ursachen und Wirkungen hineingezogen worden waren, konnte ich mir einfach nicht erklären. Alle diese Ereignisse hatten sich lange vor Kumikos und meiner Geburt zugetragen. Ich setzte mich an Zimts Schreibtisch und legte die Hände auf die Tastatur. Als meine Fingerspitzen die Tasten berührten, lebte in ihnen die Erinnerung an meine Unterhaltung mit Kumiko wieder auf. Ich hatte keine Zweifel, daß diese Computer-Unterhaltung von Noboru Wataya »abgehört« worden war. Er versuchte dadurch, etwas herauszufinden. Er hatte uns mit Sicherheit nicht aus reiner Herzensgüte ermöglicht, auf diese Weise miteinander zu kommunizieren. Er und seine Männer hatten höchstwahrscheinlich versucht, sich über die Terminalverbindung Zugang zu Zimts Rechner zu verschaffen, um so die Geheimnisse dieses Hauses auszuspionieren. Aber das bereitete mir kein Kopfzerbrechen. Die Abgründe des Computers waren die Abgründe von Zimts Geist. Und diese Leute ahnten nicht einmal, welch unauslotbare Tiefen sie dort erwarteten.

24
    D AS SIGNAL SCHALTET AUF ROT
    DER LANGE ARM STRECKT SICH AUS
     
    Als Zimt am nächsten Morgen um neun ankam, war er nicht allein. Auf dem Beifahrersitz saß seine Mutter, Muskat Akasaka. Sie war seit über einem Monat nicht mehr in der Zentrale gewesen. Auch das letzte Mal war sie unangemeldet mit Zimt gekommen, hatte mit mir gefrühstückt und geplaudert und war nach einer knappen Stunde wieder gegangen.
    Zimt hängte sein Anzugjackett auf und begab sich - zu den Klängen eines Händlschen Concerto grosso (das er seit drei Tagen immer wieder abspielte) in die Küche, um für seine Mutter, die noch nicht gefrühstückt hatte, Tee und Toast zuzubereiten. Sein Toast war immer so perfekt wie in einem Werbespot. Dann setzten Muskat und ich uns an den kleinen Tisch und tranken Tee, während Zimt wie gewohnt die Küche aufräumte. Muskat aß nur eine Scheibe gebutterten Toast. Draußen fiel ein kalter, mit Graupeln vermischter Regen. Muskat sagte nicht viel, und ich sagte nicht viel - gerade ein paar Bemerkungen über das Wetter. Sie schien allerdings etwas auf dem Herzen zu haben; das erkannte ich an ihrem Gesicht und ihrer Sprechweise. Sie zupfte von ihrem Toast briefmarkengroße Stückchen ab und steckte sie sich, jeweils nur eines, in den Mund. Hin und wieder sahen wir hinaus in den Regen, als sei er ein gemeinsamer alter Freund. Als Zimt mit der Küche fertig war und zu putzen begann, führte mich Muskat in den »Anproberaum«. Das Zimmer war eine exakte Reproduktion des »Anproberaums« im Bürogebäude in Akasaka, nach Größe und Form nahezu gleich. Auch hier hingen vor dem Fenster Gardinen und Vorhänge, die selbst mitten am Tag nur ein trübes Zwielicht einließen. Die Vorhänge waren nie länger als zehn Minuten am Tag aufgezogen, während Zimt das Zimmer aufräumte. Auch hier gab es ein Ledersofa, einen Couchtisch mit Blumen in einer Glasvase und eine hohe Stehlampe. In der Mitte des Raums stand ein großer

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