Mister Aufziehvogel
Japan sei mittlerweile die einzige asiatische Nation, die das notwendige militärische und wirtschaftliche Potential besaß, den unausweichlichen Krieg (oder, wie er ihn nannte, die »Endschlacht« ) gegen den Westen zu führen, und die übrigen asiatischen Staaten hätten die Pflicht, im Interesse ihrer eigenen Befreiung vom Westen mit Japan zu kooperieren. Kein anderer Offizier der Kaiserlichen Armee konnte damals mit Ishiwaras Kombination von profundem Interesse an Logistik und umfassender Bildung aufwarten. Die meisten anderen japanischen Offiziere taten die Logistik als eine »weibische« Disziplin ab und vertraten vielmehr die Überzeugung, der richtige »Weg« für die »Krieger seiner Majestät« bestehe darin, so schlecht ausgerüstet sie auch sein mochten, mit tapferer Selbstaufgabe zu fechten; wahrer Kriegsruhm sei nur durch die Überwindung eines zahlenmäßig und waffentechnisch weit überlegenen, mächtigen Feindes zu erringen. Den Feind schlagen und »so schnell vorrücken, daß der Nachschub nicht Schritt halten kann«: das sei der Weg der Ehre. Für Yoshitaka Wataya, den überzeugten Technokraten, war das barer Unsinn. Einen langen Krieg ohne gründliche logistische Absicherung anzufangen war seiner Ansicht nach glatter Selbstmord. Die Sowjets hatten durch Stalins Fünfjahresplan intensiver Wirtschaftsentwicklung ihre militärische Schlagkraft beträchtlich erhöht und ihre Streitkräfte von Grund auf modernisiert. Die fünf blutigen Jahre des Ersten Weltkriegs hatten die Wertvorstellungen der alten Welt zerstört, und die panzergestützte Kriegführung hatte die europäischen Begriffe von Strategie und Logistik revolutioniert. Da Yoshitaka Wataya zwei Jahre lang in Berlin stationiert gewesen war, hegte er nicht den leisesten Zweifel an der Wahrheit dieser Aussagen, aber der größte Teil des japanischen Militärs hatte den Rausch des schon fast dreißig Jahre zurückliegenden Sieges im Russisch-Japanischen Krieg noch immer nicht überwunden.
Yoshitaka Wataya kehrte als überzeugter Bewunderer von Ishiwaras Argumenten und Weltanschauung - und nicht zuletzt von dessen charismatischer Persönlichkeit - nach Japan zurück und blieb viele Jahre lang mit ihm in engem Kontakt. Er besuchte Ishiwara häufig, selbst noch, nachdem der verdiente Offizier aus der Mandschurei abberufen und mit dem Kommando über die isolierte Festung von Maizuru betraut worden war. Yoshitaka Wataya legte seinen exakten und äußerst detaillierten Bericht über die Schafzucht und Wollverarbeitung in Mandschukuo schon kurz nach seiner Rückkehr nach Japan dem Hauptquartier vor und erhielt dafür hohes Lob. Infolge der katastrophalen japanischen Niederlage bei Nomonhan, im Jahr 1939, und der zunehmend verschärften wirtschaftlichen Sanktionen seitens der USA und Großbritanniens begann die Militärführung jedoch, ihre Aufmerksamkeit nach Süden zu verlagern, und die Arbeit der Analytikergruppe, die einen hypothetischen Krieg gegen die Sowjetunion führte, verlief sich bald darauf im Sande. Natürlich war ein nicht unwesentlicher Faktor bei der Entscheidung, die Schlacht von Nomonhan im Frühherbst zu beenden und nicht zuzulassen, daß sie sich zu einem regelrechten Krieg auswuchs, der Abschlußbericht der Gruppe, dem zufolge »wir bei unserem gegenwärtigen Stand der Vorbereitungen nicht in der Lage wären, einen Winterfeldzug gegen die Sowjetunion zu führen«. Sobald die Herbstwinde zu wehen begannen, befahl die Kaiserliche Heeresleitung - mit einem für die sonst krankhaft um die Wahrung ihres Gesichts besorgte japanische Armee erstaunlichen Realismus -, alle Kampfhandlungen einzustellen, und überließ die unfruchtbare Hulunbuir-Steppe nach entsprechenden diplomatischen Verhandlungen den Truppen der Äußeren Mongolei und der Sowjetunion. In einer Fußnote wies der Verfasser darauf hin, daß Yoshitaka Wataya unter Mac Arthurs Militärregierung von der Bekleidung öffentlicher Ämter ausgeschlossen gewesen war und eine Zeitlang in seiner Heimatstadt Niigata ein zurückgezogenes Leben geführt hatte; nach Ende der Okkupationszeit aber von der Konservativen Partei dazu überredet worden war, bei den Parlamentswahlen zu kandidieren, und nach zwei Legislaturperioden im Oberhaus in das Unterhaus gewechselt war. In seinem Arbeitszimmer hatte eine Kalligraphie Kanji Ishiwaras an der Wand gehangen.
Ich hatte keine Ahnung, wie Noboru Watayas Onkel als Abgeordneter gewesen war oder was er als Politiker geleistet hatte. Einmal hatte er
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