Mister Aufziehvogel
Körper mit Schaum bedeckt, unter der Nachmittagshitze und dem Gewicht des vollbeladenen Wagens. Die acht Soldaten ließen mit aufgepflanzten Bajonetten vier Chinesen vor sich her marschieren -junge Männer, vielleicht zwanzig Jahre alt, in Baseballkleidung und mit hinter dem Rücken gefesselten Händen. Die blauen Flecke in ihren Gesichtern verrieten, daß sie brutal verprügelt worden waren. Das rechte Auge eines der Männer war fast zugeschwollen, und das Trikot eines anderen war von dem Blut, das von seinen aufgeplatzten Lippen floß, leuchtend rot befleckt. Auf der Vorderseite der Trikots stand nichts geschrieben, aber man sah an kleinen rechteckigen Stellen, daß dort Namensschildchen abgerissen worden waren. Auf dem Rücken trugen sie die Zahlen 1,4,7 und 9. Der Tierarzt konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum vier junge Chinesen in einer so kritischen Zeit Baseballkleidung trugen oder warum sie so übel zusammengeschlagen worden waren und jetzt von japanischen Soldaten hierhergebracht wurden. Die Szene wirkte vollkommen irreal - wie der Phantasie eines geisteskranken Malers entsprungen. Der Leutnant fragte den Zoodirektor, ob er Spitzhacken und Schaufeln habe, die er ihnen leihen könnte. Der junge Offizier sah mittlerweile sogar noch bleicher und abgespannter aus als vorher. Der Tierarzt führte ihn und seine Männer zum Werkzeugschuppen, der sich hinter dem Verwaltungsgebäude befand. Der Leutnant suchte zwei Spitzhacken und zwei Schaufeln für seine Männer aus. Dann bat er den Tierarzt mitzukommen, ließ seine Männer zurück und betrat das Wäldchen, das jenseits der Straße begann. Der Tierarzt folgte ihm. Bei jedem Schritt des Leutnants spritzten riesige Heuschrecken aus dem Weg. In der Luft hing der Geruch von Sommergras. In das ohrenbetäubende Gekreisch der Zikaden mischten sich von Zeit zu Zeit, wie ferne Warnsignale, die scharfen Trompetentöne der Elefanten.
Der Leutnant ging, ohne etwas zu sagen, immer tiefer in den Wald hinein, bis sich zwischen den Bäumen eine Lichtung auftat. Hier hatte eigentlich ein »Streichelzoo« für Kinder entstehen sollen, doch als die zunehmend kritischere militärische Situation zur Verknappung aller Baumaterialien geführt hatte, war die Ausführung des Plans auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Auf einem kreisförmigen Areal waren alle Bäume gefällt worden, und die Sonne tauchte diesen Teil des Waldes in goldenes Rampenlicht. Der Leutnant blieb in der Mitte des Kreises stehen und sah sich aufmerksam um. Dann bohrte er den Stiefelabsatz in die nackte Erde.
»Wir werden hier für eine Weile unser Lager aufschlagen«, sagte er, kniete sich hin und nahm eine Handvoll Erde auf.
Der Tierarzt nickte. Er hatte zwar keine Ahnung, warum sie in einem Zoo kampieren mußten, aber er beschloß, nicht nachzufragen. Hier in Hsin-ching hatte ihn die Erfahrung gelehrt, Militärs nie Fragen zu stellen. Mit Fragen erreichte man nur, daß man sie ärgerlich machte, und eine direkte Antwort bekam man ohnehin nie.
»Als erstes graben wir hier ein großes Loch«, sagte der Leutnant, als redete er mit sich selbst. Er stand auf und zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Er steckte sich eine zwischen die Lippen, bot dem Tierarzt eine an, dann gab er sich und ihm mit einem Streichholz Feuer. Um dem Schweigen einen Inhalt zu geben, konzentrierten sich beide Männer auf das Rauchen. Wieder fing der Leutnant an, mit dem Stiefel im Boden herumzuscharren. Er zeichnete so etwas wie ein Diagramm in die Erde, dann wischte er es wieder aus. Endlich fragte er den Tierarzt: »Wo sind Sie geboren?«
»In Kanagawa«, sagte der Arzt. »In einer Kleinstadt namens Ofuna, nicht weit vom Meer.« Der Leutnant nickte.
»Und wo sind Sie her?« fragte der Tierarzt.
Statt zu antworten, kniff der Leutnant die Augen zusammen und betrachtete den Rauch, der zwischen seinen Fingern nach oben stieg. Nein, es lohnt sich nie, einem Soldaten Fragen zu stellen, sagte sich der Tierarzt noch einmal. Sie stellen selbst gern Fragen, aber sie geben einem nie eine Antwort. Die würden einem nicht mal die Uhrzeit sagen. »Da gibt’s ein Filmstudio«, sagte der Leutnant.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Tierarzt begriff, daß der Leutnant von Ofuna redete. »Das stimmt. Ein großes Studio. Ich bin allerdings nie drin gewesen.«
Der Leutnant ließ den Rest seiner Zigarette auf den Boden fallen und trat ihn aus. »Ich hoffe, Sie schaffen es wieder dahin zurück«, sagte er. »Natürlich
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