Mister Aufziehvogel
Lagerinsassen vorgekommen; er habe so ausgesehen, als könnte er früher einmal einen wichtigen Posten innegehabt haben. Ich beschrieb sein Äußeres. Der Offizier - er hieß Nikolai - verfinsterte sich und sagte: » Das dürfte Boris der Menschenschinder gewesen sein. Sie sollten besser einen großen Bogen um ihn machen. «
Warum er das sage, fragte ich. Nikolai schien unwillig zu sein, mehr zu verraten, aber er wußte, daß ich in der Lage war, ihm Gefälligkeiten zu erweisen, und so erzählte er mir zuletzt - mit deutlichem Widerstreben -, wie » Boris der Menschenschinder « ins Lager gekommen war. » Verraten Sie bloß niemandem, daß Sie es von mir haben « , warnte er mich. » Der Kerl ist gefährlich. Ich mache keine Witze - schlimmere gibt’s gar nicht. Den würde ich nicht mit der Zange anfassen mögen. «
Was Nikolai mir erzählte, ist dies. - Der wirkliche Name des » Menschenschinders « lautete Boris Gromow. Genau wie ich vermutet hatte, war er Major im NKWD gewesen. 1938 hatte man ihn als Militärberater nach Ulan Bator entsandt. Dort reorganisierte er die mongolische Geheimpolizei nach dem Muster von Berijas NKWD und tat sich bei der Bekämpfung konterrevolutionärer Elemente hervor. Seine Männer trieben die Leute zusammen, warfen sie in Konzentrationslager, folterten sie und liquidierten jeden, auf den auch nur der leiseste Schatten eines Verdachts fiel. Sobald die Schlacht von Nomonhan geendet hatte und die Krise in Fernost abgewendet worden war, wurde Boris nach Moskau zurückbeordert und von dort in das sowjetisch besetzte Ostpolen entsandt, wo er maßgeblich an der Säuberung der alten polnischen Armee mitwirkte. Eben dabei verdiente er sich den Spitznamen » Boris der Menschenschinder « . Menschen lebendig zu häuten - wozu er sich eines Mannes bediente, den er dem Vernehmen nach aus der Mongolei mitgebracht hatte - war seine spezielle Foltermethode. Natürlich fürchteten ihn die Polen wie den Teufel. Wer gezwungen wurde, einer Häutung beizuwohnen, gestand unfehlbar alles. Als die deutsche Wehrmacht dann plötzlich ins Land eindrang und der Krieg gegen Deutschland begann, zog er sich aus Polen nach Moskau zurück. Danach wurden viele unter dem Verdacht verhaftet, in heimlichem Einverständnis mit Hitler gestanden zu haben. Auch hier tat sich Boris wieder als Berijas rechte Hand hervor, wobei ihm abermals seine besondere Foltertechnik zugute kam. Um ihre Führungsposition zu festigen, mußten Stalin und Berija die Tatsache vertuschen, daß sie die Invasion Nazideutschlands nicht vorhergesehen hatten, und bastelten zu diesem Zweck die Theorie von der » inneren Verschwörung « zusammen. Unzählige Menschen starben unter grausamen Qualen für nichts und wieder nichts. Boris und sein Folterknecht sollen während dieser Zeit wenigstens fünf Menschen gehäutet haben, und es ging das Gerücht, er habe die Häute wie Trophäen an der Wand seines Arbeitszimmers hängen gehabt.
Boris mag grausam gewesen sein, aber er war auch sehr vorsichtig, und nur dadurch gelang es ihm, alle Intrigen und Säuberungen zu überleben. Berija liebte ihn wie seinen eigenen Sohn. Dies könnte aber auch der Grund dafür gewesen sein, daß er auf die Dauer zu selbstsicher wurde und seine Grenzen überschritt. Er beging einen Fehler, der ihn zu Fall brachte. Er ließ den Kommandanten eines Panzerbataillons wegen des Verdachts verhaften, während einer Schlacht in der Ukraine heimlich in Kontakt mit einem von Hitlers SS-Panzerdivisionen gestanden zu haben. Er folterte den Mann zu Tode, indem er ihm glühende Eisen in jede Körperöffnung steckte - Ohren, Nasenlöcher, Mastdarm, Harnröhre, was auch immer. Doch wie sich herausstellte, war der Offizier der Neffe eines hohen Parteifunktionärs gewesen. Hinzu kam, daß eine vom Generalstab der Roten Armee durchgeführte gründliche Untersuchung des Falls die völlige Unschuld des Mannes ergab. Der Parteifunktionär war natürlich außer sich vor Wut, und auch die Rote Armee hatte nicht vor, eine solche Beschmutzung ihrer Ehre stillschweigend hinzunehmen. Nicht einmal Berija konnte Boris diesmal beschützen. Sie degradierten ihn, stellten ihn vor ein Gericht und verurteilten ihn samt seinem mongolischen Adjutanten zum Tode. Dann aber machte sich der NKWD an die Arbeit und schaffte es, Boris’ Strafe in Deportation und Zwangsarbeit zu mildern (der Mongole wurde allerdings gehängt). Berija ließ Boris im Gefängnis eine geheime Botschaft zukommen, in der er ihm versprach,
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