Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
effektiveres Kontrollsystem aufbaute. Seine Pläne waren von einer eisigen, diabolischen Präzision. Es gelang ihm, das Damoklesschwert planlos zuschlagender Gewalt aus unserem Leben zu verbannen und an dessen Stelle eine neue Art von kalt kalkulierter Gewalt zu setzen.
    Als sechs Monate später sein Kontrollapparat » stand « , riß er das Steuer herum und begann, Druck auf uns auszuüben. Sein erstes Opfer war der Mann, der bis dahin die zentrale Figur im Komitee gewesen war: der Oberst. Er hatte Boris im Interesse der japanischen Kriegsgefangenen in mehreren Fällen die Stirn geboten, und das kostete ihn nun das Leben. Mittlerweile waren er und einige wenige letzte Getreue die einzigen Komiteemitglieder gewesen, die noch nicht nach Boris’ Pfeife tanzten. Der Oberst wurde eines Nachts erstickt: Jemand preßte ihm ein nasses Handtuch auf das Gesicht, während die anderen ihn festhielten. Der Befehl dazu kam natürlich von Boris, aber wenn es darum ging, Japaner zu töten, machte er sich nie selbst die Hände schmutzig. Er ließ dem Komitee seine Befehle zukommen, und für die Vollstreckung sorgten dann andere Japaner. Der Tod des Oberst wurde einfach als Folge einer Krankheit erklärt. Wir wußten natürlich alle, wer ihn getötet hatte, aber niemand durfte das laut aussprechen. Wir wußten, daß Boris Spitzel in unseren Reihen hatte, und wir mußten uns vorsehen, vor niemandem ein unbedachtes Wort zu äußern. Nachdem der Oberst beseitigt worden war, besetzte das Komitee das vakante Amt des Vorsitzenden mit Boris ’ Wunschkandidaten. Eine Folge der geänderten Zusammensetzung des Komitees war die zunehmende Verschlechterung unserer Arbeitsbedingungen, und bald war alles so schlimm wie zuvor. Als Gegenleistung für unsere Autonomie hatten wir uns Boris gegenüber zur Erzielung bestimmter Fördermengen verpflichtet, und das immer höhere Plansoll ging allmählich über unsere Kräfte. Die Fördermengen wurden unter stets neuen Vorwänden stufenweise angehoben, bis die uns abgeforderten Leistungen höher waren als je zuvor. Die Zahl der Unfälle stieg, und viele japanische Soldaten düngten, Opfer verantwortungsloser Abbaumethoden, mit ihren Knochen den Boden eines fremden Landes. » Autonomie « bedeutete nur noch, daß wir jetzt selbst unsere Arbeit beaufsichtigen mußten - statt wie bisher die Russen.
    Die Folge war natürlich, daß sich unter den Kriegsgefangenen Unzufriedenheit verbreitete. Während wir früher eine gleichberechtigte Leidensgemeinschaft gewesen waren, kam nun immer stärker ein Gefühl von Benachteiligung auf- und mit ihm Haß, Mißgunst und Argwohn. Diejenigen, die Boris dienten, wurden mit leichteren Aufgaben und besonderen Privilegien belohnt; alle übrigen waren zu einem Leben in bitterstem Elend verurteilt - wenn man sie überhaupt am Leben ließ. Niemand durfte sich offen beklagen, denn jeder Widerstand bedeutete den Tod. Man konnte in einen eisigen Schuppen gesperrt werden und dort elend erfrieren, im Schlaf mit einem nassen Handtuch erstickt werden oder während der Arbeit unter Tage hinterrücks mit einer Spitzhacke den Schädel eingeschlagen bekommen. Man konnte sang- und klanglos in einen Schacht stürzen. Niemand wußte, was in der Dunkelheit der Grube geschah. Die Menschen verschwanden einfach.
    Ich konnte nicht umhin, mir dafür Vorwürfe zu machen, daß ich Boris und den Oberst zusammengebracht hatte. Natürlich hätte sich Boris auch ohne meine Mithilfe auf die eine oder andere Weise - und mit den gleichen Folgen - in unsere Mitte eingeschlichen, aber solche Überlegungen vermochten meine Schuldgefühle kaum zu lindern. Ich hatte einen schrecklichen Fehler begangen.
     
     
    Eines Tages wurde ich unerwartet in das Gebäude kommandiert, das Boris als seine Zentrale benutzte. Ich hatte ihn seit langem nicht mehr gesehen. Er saß an einem Schreibtisch und trank Tee, genauso wie damals, als ich ihn im Büro des Stationsvorstehers gesehen hatte. Hinter ihm stand, eine großkalibrige Pistole im Gürtel, in straffer militärischer Haltung der Tatar. Als ich eintrat, wandte sich Boris dem Mongolen zu und bedeutete ihm mit einer Geste, das Zimmer zu verlassen. Jetzt waren wir beide allein. » Nun, Leutnant Mamiya, wie Sie sehen, habe ich mein Versprechen gehalten. « Das habe er zweifellos, erwiderte ich. Was er sagte, war leider wahr. Alles, was er mir versprochen hatte, war eingetroffen. Es war wie ein Pakt mit dem Teufel. » Ihr habt eure Autonomie, und ich habe meine Macht « ,

Weitere Kostenlose Bücher