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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Vielleicht möchten sie rauskriegen, in welchem Stadtteil es die meisten Glatzköpfe gibt? Oder sie möchten den Anteil von A-, B- und C-Typen innerhalb der männlichen Bevölkerung erfahren? Wer weiß? Die haben so viel Geld, daß sie gar nicht wissen, wohin damit. Deswegen können die das für so was rausschmeißen. Die Perückenindustrie macht riesige Gewinne. Die Angestellten kriegen viel höhere Bonusse als in jeder anderen Branche. Wissen Sie, warum?«
    »Nein. Warum?«
    »Perücken halten nicht lang. Ich wette, das haben Sie nicht gewußt: Toupets sind zwei, maximal drei Jahre lang zu gebrauchen. Je besser sie gemacht sind, desto eher taugen sie nichts mehr. Das ultimative Verbrauchsgut. Das liegt daran, daß sie so eng an der Kopfhaut sitzen: Das Haar kriegt darunter keine Luft und geht immer mehr aus. Über kurz oder lang sitzt das Ding nicht mehr hundertprozentig, und man muß sich ein neues kaufen. Und überlegen Sie mal: Angenommen. Sie würden ein Toupet tragen, und nach zwei Jahren würd’s nichts mehr taugen - was würd Ihnen da durch den Kopf gehen? Würden Sie sich sagen: Okay, meine Perücke ist ausgeleiert. Die kann ich nicht mehr tragen. Aber ne neue zu kaufen wär mir zu teuer, also gehe ich ab morgen ohne zur Arbeit? Würden Sie sich das sagen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich. »Natürlich nicht. Wenn ein Typ erst mal anfängt, ne Perücke zu tragen, dann muß er auch weiter eine tragen. Das ist, na, sein Schicksal. Deswegen machen die Perückenhersteller ja auch so riesige Gewinne. Ich sag’s nicht gern, aber die sind wie Drogendealer. Wenn die einen erst mal am Haken haben, dann haben sie einen Kunden fürs Leben. Schon mal von einem Glatzkopf gehört, dem plötzlich die Haare wieder nachgewachsen wären? Also, ich nicht. Für ne Perücke müssen Sie schon wenigstens ne halbe Million Yen hinblättern, für ne richtig gute vielleicht sogar eine Million. Und alle zwei Jahre brauchen Sie eine neue! Mann! Selbst ’n Auto hält länger - vier oder fünf Jahre. Und dann können Sie’s in Zahlung geben!«
    »Ich versteh, was du meinst«, sagte ich.
    » Und die Perückenhersteller haben eigene Friseursalons. Sie waschen die Perücken und schneiden den Kunden die echten Haare. Ich meine, stellen Sie sich doch mal vor: Sie können sich ja nicht einfach bei einem ganz normalen Friseur in den Sessel fläzen, sich die Perücke vom Kopf rupfen und sagen ›Einmal nachschneiden, bitte‹, oder? Allein diese Läden werfen ein unheimliches Geld ab.«
    »Du kennst dich ja wirklich gut aus«, sagte ich mit echter Bewunderung. Mays Platznachbar, der Schlips-und-Kragen-B-Typ, folgte sichtlich fasziniert unserer Unterhaltung.
    »Klar«, sagte sie. »Die Leute im Büro mögen mich. Die erzählen mir alles. Diese Branche macht riesige Profite. Die stellen die Perücken in Südostasien und anderen solchen Ländern her, wo’s billige Arbeitskräfte gibt. Die beziehen sogar die Haare von dort - von Thailand oder den Philippinen. Die Frauen verkaufen den Perückenfirmen ihr Haar. In manchen Gegenden ist das die normale Methode, wie die sich ihre Mitgift verdienen. Ist schon eine verrückte Welt! Der Typ, der eben Ihnen sitzt, könnte glatt die Haare irgendeiner Indonesierin auf dem Kopf haben.«
    Reflexartig sahen der B-Mann und ich uns im Wagen um und musterten unsere Mitfahrer.
     
    In Shimbashi machten wir kurz Zwischenstation in der Zentrale der Firma, um einen Umschlag mit Erhebungsbögen und Bleistiften in Empfang zu nehmen. Diese Firma hatte angeblich den zweitgrößten Marktanteil in der Branche, aber sie war absolut unauffällig: Am Eingang war nicht einmal ein Namensschild angebracht, so daß die Kunden ganz unbefangen kommen und gehen konnten. Weder der Umschlag noch die Erhebungsbögen trugen den Namen des Unternehmens. In der Marktforschungsabteilung füllte ich ein Teilzeitkraft-Anmeldeformular aus: Name, Adresse, Ausbildungsgang und Alter. In diesen Büroräumen ging es unglaublich ruhig zu. Niemand schrie ins Telefon, niemand hämmerte mit aufgekrempelten Ärmeln auf eine Computertastatur ein. Sämtliche Mitarbeiter waren ordentlich angezogen und gingen ihrer jeweiligen Beschäftigung mit ruhiger Konzentration nach. Wie in der Zentrale eines Perückenherstellers nicht anders zu erwarten, hatte kein einziger Mann eine Glatze. Einige trugen vielleicht das Produkt ihrer Firma, aber falls ja, war es mir unmöglich, sie von den anderen zu unterscheiden. Von allen Firmen,

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