Mister Cool und Lady Crazy - Andersen, S: Mister Cool und Lady Crazy
frischen Luft die Beine zu vertreten, bevor es zu heiß wurde. Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen auf den Schultern und den Duft der wiegenden Weizenfelder nebenan. Als sie tief einatmete, fiel ihr auf, dass sie L. A. noch nicht eine einzige Sekunde lang vermisst hatte.
Vielleicht, weil sie hier zu Hause war, unabhängig von ihren Erlebnissen auf der Highschool. Hätte ihr das jemand vorher gesagt, wäre sie in schallendes Gelächter ausgebrochen. Doch solange Onkel Bud und Tantchen Lenore hier lebten, würde dieser Ort für sie immer Liebe, Sicherheit und Stabilität verkörpern.
Nicht dass sie die Jahre in Kalifornien bereute. Sie hatte sich ein gutes Leben aufgebaut, und L. A. war alles, was Sugarville nicht war – etwas, das sie vor allem als junge Erwachsene wirklich zu schätzen gewusst hatte. Aus ihr war eine Frau geworden, auf die sie stolz sein konnte.
Doch erst jetzt fiel ihr auf, dass sie nie dieselbe Verbundenheit gespürt hatte, wie zu dieser verschlafenen Kleinstadt. Die Erkenntnis hatte sie am Tag zuvor getroffen, als Andrew sie immer wieder in das Wasserbecken befördert hatte. Andrew hatte sein Bestes gegeben, um sie unterzukriegen, und bis zu einem gewissen Grad war es ihm auch gelungen. Allein das Tempo, in dem sie immer und immer wieder ins Wasser gefallen war, hatte sie bis in ihren Kern erschüttert und ihr das Gefühl gegeben, nackt und bloß zu sein. Anfangs war sie aus reinem Kampfgeist immer wieder auf das Podest geklettert, obwohl sie wusste, dass sie Sekunden später hinunterfallen würde.
Doch bevor Gabe dem Drama ein Ende bereitet hatte, hatte sie angefangen, immer mal wieder zu der Menschenmenge zu schauen. Und ihr war aufgefallen, dass außer Mayfields üblichem Idiotengefolge niemand amüsiert ausgesehen hatte. Um genau zu sein waren die meisten wirklich sauer gewesen, und dieser Eindruck hatte sich später bestätigt. Als sie zu dem Stand zurückgekehrt war, waren die Leute besonders freundlich zu ihr gewesen. Einige ehemalige Klassenkameraden hatten sogar das Klassentreffen erwähnt und dass sie sich freuen würden, sie dort zu sehen.
Vielleicht sollte sie ihre Abneigung gegen dieses Treffen noch einmal überdenken.
Als sie eine kleine Anhöhe erreichte, frischte der Wind auf. Sie war nun fast beim alten Kilimner-Haus angekommen. Von hier aus konnte sie einen ersten guten Blick darauf werfen.
„Mist“, murrte sie. Das Haus war viel baufälliger, als sie es in Erinnerung hatte.
Sie lachte leise auf. War ja wohl keine große Überraschung, wenn man bedachte, vor wie vielen Jahren sie zum letzten Mal hier gewesen war. Trotzdem war sie enttäuscht, denn sie war auf der Suche nach einem heruntergekommenen Farmhaus für Jacks Video, allerdings nicht nach einer derartigen Bruchbude.
In der Hoffnung, dass es innen spannender aussah als von außen, lief sie die knarrenden Stufen der Vorderveranda hinauf. Dann öffnete sie die unverschlossene Tür, die quietschte wie in einem schlechten Horrorfilm.
Beim Eintreten wirbelte sie so viel Staub auf, dass sie niesen musste. Sie sah sich in dem grellen Sonnenlicht, das durch die geöffnete Tür fiel, aufmerksam um. Der Zustand des Gebäudes war drinnen tatsächlich um einiges besser als draußen. Und vielleicht ... nur vielleicht ...
Sie zog ihr Aufnahmegerät heraus und sprach ein paar Bemerkungen darauf, während sie das Erdgeschoss sorgfältig Zentimeter für Zentimeter inspizierte. Sie erreichte die Kellertür, stieß sie auf, brachte es aber nicht über sich, die dunklen Stufen hinunterzusteigen. Nicht etwa, weil sie ein Angsthase war, wie sie sich einredete, sondern weil es in dem Keller mit Sicherheit nichts gab, was sie für das Video brauchen konnte. Sie schnitt eine Grimasse und ging zurück in die Küche. Denn natürlich war sie ein Angsthase, zumindest was Spinnen betraf.
Unter ihrem linken Fuß spürte sie etwas Schwammiges. Sie ging in die Hocke, um herauszufinden, ob der Boden überhaupt ihr Gewicht tragen konnte, als sie die Haustür zuknallen hörte.
„Hallo?“ Sie sprang mit pochendem Herzen auf. „Ist da jemand?“
Keine Antwort, und auch die Bodenbretter knarrten nicht unter irgendwelchen Schritten. Sie stieß den Atem aus und zuckte ungeduldig mit den Schultern. Wahrscheinlich der Wind.
Trotzdem ging sie zur Tür, öffnete sie und steckte den Kopf hinaus. Draußen war niemand zu sehen, auch die überwucherte Zufahrt zeigte keine Anzeichen, dass vor Kurzem jemand gekommen war. Außerdem, wie groß war die
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