Mister Medusa
die Galerie kommen müssen. Er hatte er nicht getan, es gab sicherlich einen Grund dafür, und darüber dachte der Grafiker nach.
Er hatte es bestimmt nicht gewollt. Das konnte es nur sein. Er wollte ihm eine Galgenfrist gönnen, um später um so grausamer zuzuschlagen. An nichts anderes konnte Hamrin mehr denken. Er steigerte sich so hinein, dass er nicht mal die Ruhe fand, sich wieder in seinen Lieblingssessel zu setzen. Plötzlich fühlte er sich wie ein Gefangener, der in der Zelle hockte und versauerte.
Er konnte zwar raus, nur traute er sich das noch immer nicht. Er hielt es für zu gefährlich.
Was tun?
Hamrin’s Blick fiel auf die Aquavit-Flasche und das daneben stehende Glas. Auch das musste Mister Medusa gesehen haben und hatte trotzdem nicht weiter nach ihm gesucht?
Mehr als ungewöhnlich...
Aber der Schnaps brachte ihn auf eine andere Idee. Er würde herhalten müssen, um seine Angst zu betäuben. Sich voll laufen zu lassen, war jetzt das beste aller Mittel.
»Genau das mache ich!«, flüsterte Thore Hamrin, verzichtete auf ein Glas und kippte den ersten langen Schluck direkt aus der Flasche in seine Kehle.
Den zweiten setzte er sofort nach.
Und beim dritten sah die Welt schon ganz anders aus. Er konnte sogar lachen, aber es klang nicht echt, denn in seinen Augen stand nach wie vor die Angst...
***
Ich hatte alles regeln können. Man legte mir von London aus keine Steine in den Weg. Ich flog allein nach Stockholm, das war allerdings die einzige Bedingung unseres Chefs gewesen. Sollte die Suppe anbrennen, konnte Suko schnell folgen. Ansonsten war der neue Job in trockenen Tüchern, obwohl er für mich noch gar nicht richtig begonnen hatte.
Das heißt, ich hatte Glück gehabt. In Stockholm empfing mich ein strahlendes Spätherbst oder Winterwetter mit einem Himmel, der so wunderbar hellblau war, wie ich ihn in dieser Farbe lange nicht gesehen hatte.
Das zweite Glücksgefühl erwischte mich im Hotel. Das Grand Hotel, Schwedens einziger Fünf-Sterne-Schuppen, der noch aus der Zeit des Jugendstils stammte und auf Hochglanz gebracht worden war. Hinzu kamen all die modernen Errungenschaften, die zu einem derartigen Hotel gehörten, aber das war es nicht, was mich nach dem Einchecken so faszinierte.
Es ging um die Hotelbar!
Ihre Lage war einfach super. Nach vom angelegt, wo sich auch die Hotelfront befand. Direkt am Wasser, von wo auch die Ausflugsboote abfuhren, und mit einem sagenhaften Blick über das Wasser hinweg auf die Insel Gamla Stan, auf der sich nicht nur die Altstadt von Stockholm befand, sondern auch das leicht erhöht stehende königliche Schloss, der Royal Palace oder auf Schwedisch Kunglia Slottet. Den Blick konnte man kaum bezahlen, und dementsprechend waren auch die Preise in der Bar.
Aber durch die großen Fenster auf Stockholm zu schauen, entschädigte für manches. Ich hatte mich dort in einen Sessel gefläzt und konnte mich gar nicht satt sehen an diesen wunderbaren Details, von denen immer wieder neue auftauchten.
Es herrschte ein leichter Wind, der die Fahnen auf den Schiffen und den Ausflugsbooten flattern ließ, die Oberfläche des Wassers bewegte, so dass sie sich zu Wellen kräuselte, auf denen sich die Strahlen der spätherbstlichen Sonne brachen.
Ein Postkartenbild, das ich ebenso genoss wie den sehr guten Kaffee, den man mir serviert hatte.
Der Kollege, den ich treffen sollte, hieß Björn Karlsson und stand im Range eines Kommissars. Die Bar des Grand Hotels war als Treffpunkt ausgemacht worden. Keiner von uns wusste, wie der andere aussah, aber man würde mich schon zu finden wissen, das zumindest hatte man mir erklärt.
Um diese Zeit herrschte in der Bar kaum Betrieb. Zwei Sitzgruppen weiter hockten vier Amerikaner beisammen, die über Geschäfte diskutierten und natürlich immer wieder die Terroranschläge von New York mit einfließen ließen.
Ich war zuvor noch nie in Stockholm gewesen. In Heathrow hatte ich mir einen Reiseführer über die Stadt gekauft und ihn während des Flugs durchgeblättert, um mir die wichtigsten Dinge einzuprägen. Ich hoffte auch, dass mir der Kommissar mehr über die tote Ellen Ascot sagen konnte. Bei unserem Telefongespräch war er ziemlich einsilbig gewesen. Vielleicht war er auch nicht davon begeistert, einen Kollegen an die Seite gestellt zu bekommen, und das konnte ich sogar verstehen.
Ich hatte mich so hingesetzt, dass ich den Eingang der Bar im Auge behalten und zugleich auch durch die großen Fenster nach draußen
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