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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Krankenhaus scheiden lassen müssen.«
    »Ich will nicht …«
    »Du willst was nicht?«
    Sheppard schwieg.
    »Du willst was nicht? Auf alles verzichten? Doch, das willst du. Und dann wiederum nicht. Du willst auf alles verzichten und trotzdem hierbleiben. Du willst Teil einer Familie sein, deiner Familie, und dich gleichzeitig herumtreiben. Nur eines willst du nicht – für deine Wünsche einstehen. Ich wundere mich über dich, Sam. Seit jeher. Das ist doch zwanghaft.«
    »Hör auf zu diagnostizieren.«
    »Du bist ein brillanter Arzt und ein schlechter Mensch.«
    »Es reicht!«
    »Wenn deine Ehe krankt, solltest du dich um ein Heilmittel bemühen.«
    »Erzähl du mir nichts über meine Ehe!«
    Er schlug mit beiden Fäusten auf die Tischplatte und beugte sich vor, bis er sich – seinem Vater nicht unähnlich, der sich die Leidenschaft immer durch unbeugsame Rechtschaffenheit und Disziplin vom Leib gehalten hatte – schließlich wieder beruhigte.
    »Schon gut, Sam«, sagte sein Vater.
    Sheppard rieb sich die Augen, setzte sich hin, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme. »Tut mir leid«, sagte er.
    Sie saßen einander schweigend gegenüber, schauten aufs Wasser hinaus. Der See sah so groß aus wie ein Meer, flößte dem Betrachter aber nicht dieselbe Ehrfurcht ein.
    »Weißt du«, sagte sein Vater schließlich, »im Alter hat sich meine Vorstellung von der Sünde verändert. Früher dachte ich immer, eine Sünde wäre etwas, das man tut, aber heute sehe ich das anders.«
    Sein Vater würde es ihm erklären, egal, ob er es hören wollte oder nicht.
    »Ich glaube inzwischen, wir sündigen durch Unterlassung«, sagte er.
    Sheppard, immer noch schockiert von seinem eigenen Ausbruch, konnte nicht antworten.
    »Denn wir wissen, was wir tun.« Sein Vater nahm sich die Brille ab, um sie mit dem Saum seines Arztkittels zu polieren. »Alles, was wir tun, ist eine Reaktion auf unser Wissen.« Er hielt die Gläser ins Licht, bevor er die Brille wieder aufsetzte. »Und nun entscheide dich.«
    »Wofür?«
    »Willst du bleiben oder nicht?«
    »Ich würde niemals von hier weggehen«, antwortete Sheppard, selbst erstaunt über diese einfache Wahrheit.
    »Schön«, sagte sein Vater. »Wenn du mich nun bitte entschuldigen würdest? Ich muss das hier noch fertig machen, bevor ich nach Hause kann.«
    Im März verließ Susan Bay View stillschweigend für eine andere Stellung; im Mai waren sie und Dr. Stevenson nach Minnesota umgezogen, wo er seine Ausbildung beenden wollte. Vor ihrer Abreise hatte Sheppard keine Gelegenheit mehr, sie zu sehen oder zu sprechen. Es war, als bestünde dazu nicht mehr die Notwendigkeit; er warf lediglich aus reiner Gewohnheit einen Blick ins Labor, wann immer er in der Pathologie war. Das Leben war ohne sie nicht weniger sinnlich oder erfüllend, es fehlte nur die ständige Vorfreude auf das nächste Treffen. Beim Abendessen sagte Marilyn eines Abends völlig unvermittelt: »Wie ich höre, haben Susan Hayes und Robert Stevenson sich verlobt.« Er hielt Messer und Gabel über dem Hackbraten gekreuzt und starrte in das Essen auf seinem Teller. An jenem Abend hatte Marilyn viel erzählt, aber diese Worte waren die ersten, die ihn erreichten. »Das ist ja wunderbar«, sagte er, bevor er ins Fleisch schnitt.
    Im Mai und im Juni hatte er höllisch viel zu tun; erstaunlich, wie schnell die Zeit verflog, sobald es einmal Sommer geworden war. Allein an Chips Körper schien sie ablesbar. Wann hatte er das Gesicht eines kleinen Mannes bekommen? Sheppard konnte sich nicht daran erinnern, je mehr als eine Stunde am Stück mit ihm verbracht zu haben. Er entdeckte Chip auf der Veranda beim Malen, beugte sich zu ihm hinunter, legte ihm eine Hand an die Wange und küsste ihn, woraufhin der Junge ihn wegschob und nach seiner Mutter rief. Manchmal sagte er einfach nur: »Nein«, sammelte Heft und Stifte ein und ging weg – eine Zurückweisung, die den sprachlosen Vater blinzelnd zurückließ. Manchmal, abends bei der Arbeit, wäre er am liebsten sofort nach Hause gefahren, um Chip in die Arme zu schließen, aber er tat es nie. Und obwohl Sheppard immer noch mittags nach Hause kam, fand er sich beim Essen oft allein in der Küche wieder. Er konnte Marilyns Badewasser ablaufen hören und ihre tapsenden Schritte im Flur, aber aus irgendeinem Grund hatte er Angst, ihr zu begegnen. An einem Spätnachmittag Ende August, als er früher nach Hause gekommen und Marilyn eben aus der Wanne gestiegen war, schob er

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