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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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er gekauft hatte, waren bis auf den letzten Rest abgebrannt. Er rief den Namen seiner Frau. Keine Reaktion. Auf dem Küchentisch entdeckte er ein Chaos aus Enchiladas, gefüllten Pfefferschoten und Tacos, allesamt angebissen. Wie schrecklich, dachte er, eine Fressorgie. Sie hatte offenbar ein Essen für zwölf bestellt. Aus den Bisswunden der Burritos tropfte Fleisch, auf dem Küchentresen und auf dem Herd, vor dem eine Spur aus Erbrochenem begann, klebte Salsa.
    »Alice?«, rief er und hörte ein Stöhnen aus dem Bad.
    Er fand sie halb ohnmächtig eingeklemmt zwischen Waschbecken und Toilette, einen Arm über den Rand der Kloschüssel, den anderen in die Rohre unter dem Waschtisch gehängt. Es stank nach Magensäure und Scheiße, Alice’ Beine waren voll von beidem, und sie atmete so flach und schnell wie ein Vogel. Wände und Fußboden waren mit Kotze bespritzt, auch ihre Haarspitzen waren damit überzogen, weshalb sie wie zerbrechliche Korallen aussahen.
    »Alice!«, schrie David. Er griff zum Telefon, wählte den Notruf und stürzte ins Bad zurück. »Alice, was hast du getan?«
    Er zog sie an den Schultern hoch und versuchte, sie auf den Boden zu legen. Ihre Augen waren verdreht. Ihr Kopf kippte zur Seite und schlug auf die Fliesen.
    »Was hast du getan?«
    Sie flüsterte etwas Unverständliches. Zwischen ihren Lippen bildeten sich Spuckeblasen, die sofort wieder zerplatzten.
    David beugte sich tiefer hinunter.
    »Mi Corazon«, murmelte sie kraftlos. Ihr Lieblingsmexikaner.
    Sir, bitte bleiben Sie ruhig. Sir, bitte bleiben Sie am Apparat, bitte schildern Sie mir ihren Zustand.
    Sauerrahm, Salsa und Guacamole, Cayennepfeffer, Cumin und Chipotlepaprika waren so widerstandslos über ihre Zunge geglitten wie jetzt ihr Krankenbett über den Hospitalflur. Alice schlug die Augen auf und sah David an, dessen Gesicht kopfüber vor dem ihren schwebte. Hastig wurde sie in den OP geschoben, und bevor er von ihr getrennt wurde, drückte David ihr einen Kuss auf die Wange. Er ließ ihre Hand los, sagte ein letztes Mal ihren Namen und schaute zu, wie die Doppeltür am Ende des Korridors sie verschluckte.
     
    Im Krankenzimmer saß David stundenlang gegenüber von Alice’ Bett und beobachtete sie.
    Zwischendurch döste er im Sitzen ein, manchmal fiel er sogar in einen unruhigen Schlaf, aber wann immer er aufwachte, war Alice noch bewusstlos. Einmal stand er auf, um nach ihrem Herzschlag zu fühlen; er stellte sich ans Fenster und sah im kegelförmigen Lichtschein der Straßenlaternen, dass es immer noch schneite; er drehte sich wieder um und beobachtete Alice noch ein bisschen länger. Als ihr Zustand unverändert blieb, setzte er sich wieder hin und dämmerte in einem traumlosen Schlaf dahin. Als er am nächsten Morgen aufwachte, bedeckte Schnee die Straßen, Schnee lag auf dem Fensterbrett und auf allen Gebäuden und Wassertürmen Manhattans. Der Wind rüttelte am Fensterrahmen und klopfte gegen die Scheibe. Die Möwen sammelten sich über dem Hudson. Am klaren blauen Himmel ging die Sonne auf, eine weiße Sonne, deren Strahlen nicht wärmten und sich in den Schneekristallen brachen, bis die ganze Welt von gleißendem Licht erhellt wurde. Und da wachte Alice auf. Man hatte ihren Oberkörper hochgelagert für den Fall, dass sie sich wieder übergeben musste, und als sie zu sich kam, riss sie die Augen auf, schaute sich langsam in dem lichtdurchfluteten Zimmer um, blinzelte ihren Mann an, erkannte ihn und wandte sofort den Blick ab.
    »Ich werde mein Leben ändern«, sagte sie.
    David wusste weder, was sie damit meinte, noch wusste er, wie er darauf reagieren sollte. Aber weil er so unsagbar froh war, sie lebendig zu sehen, sagte er nur: »Ja.« Sie war stundenlang bewusstlos gewesen, hatte aber offenbar die ganze Zeit nachgedacht und während ihrer Abwesenheit diese Entscheidung getroffen. An jenem Morgen und für den Rest des Tages reagierte sie so wenig auf seine Gesprächsversuche, dass David es gegen Abend aufgab. Sie war so krank, dass er ihr nichts übel nehmen konnte; aber je länger ihre Verweigerung andauerte, desto unruhiger wurde er. Sie war böse auf ihn, böse, er wusste es, wegen der Sachen, die er gesagt hatte, und er fühlte sich jedes Mal beschämter, wenn er an den Streit zurückdachte.
    »Alice«, sagte er am nächsten Morgen, »es tut mir so leid.«
    Sie starrte in den Fernseher über seinem Kopf. Sie lag mit verschränkten Armen im Bett, und jedes Mal, wenn sie mit einer ruckartigen Bewegung einen Knopf

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