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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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konnte halluzinogen wirken und einen wahren Assoziationssturm auslösen. Sobald er wieder zu Hause war, machte er sich Notizen, anschließend absolvierte er ein paar Liegestütze und Klappmesser. Er kaufte eine Klimmzugstange und schaffte täglich einen oder zwei Züge mehr. Er wurde stärker, dünner, sehniger und verlor sein aufgeschwemmtes Aussehen, bis er sich schließlich im Spiegel nicht wiedererkannte. Alice hatte recht: Die Haut war wie eine Schmetterlingspuppe, in der etwas Neues steckte. Er duschte, zog sich um, schenkte sich ein Glas Wein ein und trank, während er das Abendessen zubereitete – wobei es ihn eine gewisse Willensanstrengung kostete, für nur eine Person zu kochen. Weil er alles in den Tag hineingegeben hatte, fühlte er sich nun, da die Nacht aufzog und die Reue sein Glücksgefühl zersetzte, vollkommen erschöpft. Und am nächsten Tag ging alles von vorn los.
    Einmal blieb er im Flur vor seinem liebsten Escher-Druck stehen, Begegnung, das Bild mit den kleinen Männchen – eines weiß, das andere schwarz –, die sich aus ihrer zweidimensionalen Verschränkung im Hintergrund lösten und im Vordergrund als zwei voneinander getrennte Figuren auf einer geraden Fläche aufeinandertrafen. David sah seine Spiegelung in der Glasscheibe, und als er sich darauf konzentrierte, verschwand das Bild; dann kam es zurück.
    Langsam wurde ihm alles klar.
     
    Auf diese Weise vergingen Wochen, in denen niemand seine Einsamkeit störte, und der Sommer hielt Einzug, mittlerweile war es Juni. Dann eines Abends, nachdem er den Tag über konzentriert gearbeitet und zu essen vergessen hatte, hörte er einen Schlüssel in der Tür und hob den Kopf. Überraschenderweise war er weder erschrocken, noch stand er vom Tisch auf. Die Tür schloss sich, und David hörte Schritte auf dem Parkettboden.
    »Hallo?«, fragte eine Stimme.
    Es war Alice.
    Pepin blieb sitzen, bis sie ihn gefunden hatte. Außer der Lampe über dem Esstisch brannte im Apartment kein Licht.
    Sie trat in den Lichtkegel. Als sie näher herangekommen war, hielt sie inne. »Was ist mit dir passiert?«, fragte sie.
    Ihr Anblick verschlug ihm die Sprache. Sie war vor über neun Monaten verschwunden. Sie war gebräunt, sie strahlte. Sie – oder die Sonne – hatte ihr Haar aschblond gefärbt. Wie er auf den ersten Blick schätzte, hatte sie über fünfundvierzig Kilo abgenommen.
    »Ich habe mich verändert«, sagte sie schließlich.
    »Offensichtlich.«
    »Du dich auch.«
    Sie hob beide Arme, ließ sie wieder fallen.
    »Du hast diese OP machen lassen«, sagte er.
    »Ja«, sagte sie und zog ihre Bluse hoch. Über ihren Bauch verlief eine lange, rosafarbene Narbe. Das Rosa einer Muschelinnenseite.
    »Wirst du bleiben?«, fragte er.
    »Für eine Weile. Bis du fertig bist.«
    »Ich verstehe«, sagte er. »Ja, das wäre schön.«
    Sie ging auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Nacken und legte eine Hand auf seinen kahlen Schädel. Über seine Schulter warf sie einen Blick auf die Seite, an der er gerade arbeitete, dann blätterte sie in den Seiten herum, die schon ausgedruckt waren. »Du bist fast fertig«, sagte sie.
    »Ich bin fast am Ende.«
    »Kommst du bald ins Bett?«
    »Ja.«
    Sie küsste ihn auf die Stirn. »Gut.«
    Als sie so nah bei ihm stand, nahm er ihren Meergeruch wahr.
     
    Und dann eines Tages, schrieb David, begann Alice tatsächlich abzunehmen.
    Schon zuvor hatte er sie Pfunde verlieren sehen, und die vergangenen, gescheiterten Versuche ließen ihre Fortschritte nun umso bemerkenswerter erscheinen. Vielleicht erschien ihm alles auch deswegen so neu, weil sie neun Monate getrennt gewesen waren; jedenfalls hatte er eine Transformation, wie Alice sie gerade durchmachte, bei niemandem je zuvor gesehen. Jeden Morgen schien ein kleines bisschen weniger von ihr übrig zu sein, die Schlankheit zeigte sich an den Wangenknochen, an der konkaven Rundung des Bauches, am abschwellenden Hintern, was Alice, wenn sie vor dem Spiegel stand, so beiläufig kommentierte wie eine Zauberkünstlerin, die das Geheimnis ihrer Tricks kennt und sich nicht wundert.
    Sie sprach zu seinem Spiegelbild, als er hinter ihr im Bett lag. »Du siehst überrascht aus«, sagte sie.
    »Weil ich es bin«, sagte er.
    »Ich auch.« Sie drehte ihren Körper in seine Richtung, ohne das Gesicht vom Spiegel abzuwenden, und betrachtete ihren Rücken.
    Er musterte die sichelförmige Narbe an ihrem Bauch. »Du machst das toll«, sagte er.
    »Ich habe noch einen langen Weg vor mir.«
    Das

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