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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Irgendeine Schwere in seinem Charakter hatte sie infiziert; betrachteten die Experten Übergewicht nicht als Krankheit? In solchen Momenten hatte er den Eindruck, das Beste, Uneigennützigste und Großzügigste, was er tun könnte, wäre, sie zu verlassen, Schluss zu machen, denn auf irgendeine, für ihn undurchschaubare Art machte ihre Ehe sie krank. Aber er tat es nicht. Die Wahrheit zu kennen, ohne entsprechend zu handeln, ließ ihn sich selbst hassen und Alice umso mehr lieben, weil sie sich trotzdem etwas aus ihm machte.
    Er rannte die Straße hinunter, setzte tatsächlich zu einem Sprint an. Er wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Möbius bringen, er wollte seinen eigenen Herzschlag spüren und sich verausgaben, bis er nicht mehr konnte. Mit rudernden Armen und einem Pfeifen in den Ohren schoss er an den Passanten vorbei. Er wollte bis nach Hause rennen, schaffte aber, weil er nicht in Form war, nur wenige Häuserblocks. Er klammerte sich an einer Parkuhr fest und schnappte nach Luft. Seine Oberschenkel brannten, und er hatte das Gefühl, Säure eingeatmet zu haben. Wie lange war es her, dass er sich so verausgabt hatte? Er fühlte sich, als wäre seine Haut ein viel zu dicker Anzug, den zu tragen er auf ewig verdammt war. Er wollte sich davon befreien, sich erleichtern, sich seinen Körper vom Leib reißen wie ein Hemd.
    Und er wollte Alice zurückhaben, nicht um ihr zu zeigen, dass er sie verdient hatte, sondern um ihr zu beichten, dass er absolut nichts über sie wusste. Er wollte am liebsten demütig vor ihr niederknien. Es war ein Anfang und ein Ende: das unweigerliche Fazit von Alice’ Experiment.
    »Bitte«, sagte er, an die Parkuhr gelehnt. »Komm zurück zu mir.«
    In der Lobby bemerkte er, dass der Briefkasten überquoll.
    Als er ihn öffnete, entdeckte er einen großen, braunen Briefumschlag, zwanzig mal siebenundzwanzig Zentimeter, an ihn adressiert – in Alice’ Handschrift. Er war erst gestern aufgegeben worden, in New York City. Obwohl er aufgeregt war, öffnete David den Umschlag sehr vorsichtig. Mehrere Zettel fielen heraus; mehrere Flugtickets und ein kleinerer Umschlag, auf den sie persönlich seinen Namen geschrieben hatte. Der Brief füllte nicht einmal eine Seite, und er überflog ihn schnell.
    Er verstand nicht, was Alice ihm sagen wollte.
    Er betrachtete die Flugtickets, las den Brief ein zweites Mal, ließ alle anderen Unterlagen fallen, um das Blatt mit beiden Händen festhalten zu können. Er sank zu Boden, und sein Gesicht schrumpfte zusammen, bis die Tränen kamen. »Nein«, flüsterte er, »nein, nein, nein.« Er las Alice’ Brief zum dritten Mal – in seinem Kopf konnte er ihre Stimme hören –, und als er fertig war, brüllte er so, wie er eben noch gerannt war. Er brüllte sich alle Luft aus der Lunge. Und als er wieder zu Atem gekommen war, brüllte er weiter.
     
    Die nächsten drei Tage verbrachte David im Bett.
    Er rief Cady an und sagte, er werde einen unbegrenzten Langzeiturlaub antreten, werde Cady aber, falls er es wünschte, seine Anteile an Spellbound verkaufen. Nachdem David aufgelegt hatte, riss er das Telefonkabel mit einem einzigen Ruck aus der Wand.
    Drei Tage lang lag er in seinem verwüsteten Apartment im Bett. Er hatte die Jalousien heruntergelassen und kein Gefühl für Tag oder Nacht mehr. Er verließ das Bett nur, um zu pinkeln, zu scheißen oder Wasser zu trinken und dann wieder unter die Laken zu kriechen, um zu schlafen oder stundenlang im Dunkeln zu liegen und so oder so zu träumen. Er ignorierte den Hungerschmerz so lange, bis er eine angenehme, reinigende Leere in seinem Magen spürte. Manchmal stellte er sich vor, nie wieder zu essen. Manchmal schreckte er aus dem Schlaf hoch, wusste nicht, wo er war, aber sobald es ihm einfiel, fing er wieder zu schluchzen an, ein Zyklus, der sich wiederholte, bis er nichts mehr fühlte, bis er sich des Kummers ebenso entledigt hatte wie seines Lebenswillens. Jeden Tag fühlte er seinen Magen ein bisschen weiter schrumpfen. Es war wie das Gegenteil vom Schwangersein, und irgendwann fragte er sich, ob sein Magen sich so weit zusammenziehen würde, dass er nie wieder etwas essen konnte. Und dann schlief er noch ein bisschen weiter.
    Am dritten Tag wachte er auf, stieg aus dem Bett und zog die Jalousien hoch. Er wusste nicht, was für ein Wochentag war, aber er wusste, was er zu tun hatte. Er hatte gedacht, um zu erfahren, was als Nächstes geschah, würde er Alice finden müssen; aber nun, da er

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