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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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es sei denn, es wurde für Schlankheitsmittel geworben. In diesen Augenblicken wurde das Schweigen zwischen ihnen so eindringlich wie sonst nur bei Werbung mit Kindern (Windeln, Waschmittel, Spielzeug). Man könnte sich ihre Ehe, dachte David manchmal, als Sequenz im Spätprogramm vorstellen: Love Connection, Letterman, The Daily Show. Irgendwo saß jemand und schrieb an der Sendung ihres restlichen Lebens. »David«, fragte sie ihn oft, wenn er eindöste, »schläfst du schon?« Ja. Und sie schlief auch. Hatte er den Fernseher ausgeschaltet oder sie?
    Und dann wurde es wieder Morgen.
    Natürlich ergaben sich auch Abweichungen vom üblichen Rhythmus, beispielsweise wenn er abends länger arbeitete oder sie zu einem Termin ging; aber meistens hatte er diese Besonderheiten sofort wieder aus seiner Erinnerung gelöscht. Er stellte sie auf die Probe, um sich zu vergewissern, dass er mit seiner Vergesslichkeit nicht allein dastand. »Ich weiß auch nicht mehr, was wir gemeint haben«, sagte sie und lachte. Und natürlich hatte es in ihrem Leben – in ihrer gemeinsamen Geschichte – bedeutende Ereignisse gegeben, aber seit einiger Zeit hatte David das Gefühl, es erfordere eine zu große Anstrengung, sich an diese Ereignisse zu erinnern oder überhaupt den endlosen Wiederholungen eine sinnvolle Fortsetzungsgeschichte abzutrotzen. Vielleicht bestand ihre Aufgabe genau darin, dachte David manchmal, dass sie die Vorfälle rekonstruieren mussten, die sich vor dieser langen Ruhephase ereignet hatten. Ihrem jetzigen Zusammenleben lagen unausgesprochene Wahrheiten zugrunde, die das Fundament ihrer Ehe bildeten. Diese Wahrheiten gingen weit über alle Streitfragen hinaus und ließen sich aus Davids Sicht auf drei Punkte reduzieren:
    Sie war dick.
    Sein Buch war noch nicht fertig.
    Mr. Peanut.
     
    Im Sommer 2004, nach acht Jahren des Zusammenlebens, begannen er und Alice über Kinder zu sprechen.
    David konnte sich so genau an das Jahr erinnern, weil Spellbound Games, die Firma, die er und Frank Cady gegründet hatten, gerade ihren ersten Egoshooter für die Xbox herausgebracht hatte, Peng, du bist tot! Innerhalb weniger Monate entwickelte sich das Spiel zu einem weltweiten Hit. Die negative Berichterstattung war ein wahrer Segen. CNN berichtete über das Spiel, ebenso 60 Minutes und die New York Times . Er und Frank wurden sogar von Larry King eingeladen. Der als jugendgefährdend indizierte Shooter spielte in einem weitläufigen Schulgebäude und orientierte sich an den Regeln des gleichnamigen Kinderspiels: Entdeckte man einen Gegner, zielte man mit der Hand – der eingebildeten Waffe – auf ihn und rief: »Peng, du bist tot!«, woraufhin der oder die Getroffene einen dramatischen Tod mimte. Die Variante von David und Frank begann damit, dass man seinen Avatar einer bestimmten Clique zuordnete – den Sportlern, den Gruftis, den Cheerleadern, den Strebern, den Außenseitern oder den Lehrern, um nur einige zu nennen. Jede Gruppe verfügte über spezielle Abwehrmechanismen und unterschiedliche Fähigkeiten, was Beweglichkeit und Schnelligkeit betraf. Dann legte man sein Aussehen fest, von Haarfarbe über Hautfarbe bis zum Körperbau. Zum Schluss – und erst das machte das Spiel so außergewöhnlich – wählte man seine Waffe: Laserzeigerhand, Papierkugelhand, Gummibandschleuder-Hand, Krätzehand, Säurehand, Trockeneishand, Bunsenbrennerhand, Elektroschockerhand, Keulenhand und Drachenhand. Die Hände ließen sich aufstecken wie Prothesen und waren ähnlich überdimensioniert wie die Unterarme von Popeye, sie funktionierten mechanisch und verfügten über eine begrenzte Munition oder elektrische Ladung; während des Spiels, das zeitlich auf einen Schultag begrenzt war, ließen sich die künstlichen Gliedmaßen austauschen, anhäufen und wiederaufladen. Ziel war es, alle feindlichen Cliquen auszulöschen und die Schule zu beherrschen. Die Grafik erinnerte an einen Comic, reinstes Super Mario , und das Blutvergießen war spektakulär, besonders wenn die Drachenhand ins Spiel kam (risikoreich, weil man dem Gegner nahe genug kommen musste, um ihn zu berühren; sagenhaft, weil sein Kopf beim Kontakt explodierte). Man konnte das Spiel allein, zu mehreren oder mit Fremden im Internet spielen, und schon bald waren Jugendliche aus der ganzen Welt in eine virtuelle Schulhofschlägerei verwickelt. Das Medienecho war groß, die Psychologen bezogen Stellung. Einige sagten, das Spiel sei gewaltverherrlichend und stachele zu Amokläufen

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