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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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an, andere waren der Ansicht, es biete eine gewaltfreie Möglichkeit, sich abzureagieren. Die Eltern drehten durch. Das Spiel ging weg wie warme Semmeln.
    »Haben Sie als Kind Räuber und Gendarm gespielt?«, fragte David einen erbosten Anrufer bei Larry King Live . »Da haben Sie nicht ehrlich geglaubt, jemanden zu erschießen, oder? Ist bei Räuber und Gendarm jemand getötet worden? Ganz bestimmt nicht, denn sonst würden Sie jetzt nicht hier anrufen. Ich glaube, die Kinder von heute begreifen den Unterschied genauso. Peng, du bist tot! Nächster Anrufer, bitte.«
    Spellbound wurde von Investoren belagert und von Lizenzeinnahmen überschwemmt, sodass David noch im selben Jahr das Apartment kaufte. Als sie erschöpft vom Tag und mit einem Drink in der Hand im Bett lagen – Alice unter einem Haufen Stundenplänen und Klassenarbeiten und David mit in die Netzhaut eingebrannten Zahlenfolgen und Testspieldurchläufen –, schien das Gespräch wie von allein auf das Thema Kinder zu kommen, nicht zuletzt, weil sich die vielversprechenden Möglichkeiten des Erwachsenenlebens plötzlich wie ein mächtiges Flügelpaar vor ihnen ausbreiteten. Sie hatten sich an einer kleinen Uni in Virginia kennengelernt, wo David Computerdesign studiert und Alice das Grundstudium in Mathematik und Erziehungswissenschaften abgeschlossen hatte. Ein Jahr später hatten sie geheiratet und beschlossen, zunächst einmal ihre Karrieren voranzutreiben. Nun, mit Ende zwanzig (sie) beziehungsweise Anfang dreißig (er) fühlten sie sich vom Glück gesegnet – mit der richtigen Berufswahl (Alice unterrichtete an der Trinity School), mit ihrer Ehe und vor allem mit dem kostbarsten von Manhattans Luxusgütern: Wohnraum.
    Das Gespräch zog sich über Monate hin, eigentlich handelte es sich um die erste Stufe der Empfängnis, um eine von vielen möglichen Perspektiven, der es gelang, bis in ihr Bewusstsein vorzudringen. Es drehte sich um die Frage, ob Junge oder Mädchen, um den richtigen Zeitpunkt und um Namensfavoriten – Weizen, der damals von der Spreu alter Liebschaften, verhasster Mitschüler, angebeteter Lehrerinnen, Verwandter, Feinde, Affären und toter Haustiere getrennt werden wollte, von einem ganzen Universum voller negativer Namensassoziationen und peinlicher Erlebnisse. All das weckte in David widersprüchliche Gefühle. Zum einen wurde ihm schwindlig. Ein Kind war etwas Magisches, ein Kind machte aus einem Paar eine Familie. Ein Kind zu zeugen war, wie auf den Knopf zu drücken, der das Gegenteil des Atomkriegs auslöste: einvernehmliche Schöpfung. Sein Leben bewusst und aus freien Stücken völlig umzukrempeln hatte etwas Radikales. Schon der Versuch der Zeugung veränderte den Blick auf alles. Gleichzeitig löste das Gespräch Enttäuschung und Angst in ihm aus, oftmals erschien es ihm rein abstrakt und in gewisser Hinsicht auch wie ein Ablenkungsmanöver. In diesen Momenten wurde er defensiv. In seiner Selbstsucht fragte er sich, ob Alice ihn weniger liebe als früher. Er machte sich Sorgen, dass ihr Sexleben möglicherweise nachgelassen hatte, dass Alice sich langweilte und ein Kind mit seinen zahlreichen Bedürfnissen und Forderungen dazu dienen sollte, die verblassenden Gefühle zwischen ihnen zu überdecken und die Lücke zu füllen.
    Das sagte er seiner Frau aber nicht.
    Das Gespräch kannte keine Grenzen und keinen Zeitplan. Sie nahmen es auf, wenn sie beim Frühstück saßen oder während der Arbeitszeit telefonierten. Es lief immer fair ab und war frei von Gedankensprüngen. Es war allgegenwärtig. Ein zufällig gesichtetes Kind auf der Straße, im Bus, im Flugzeug, wo es über den Sitz lugte wie ein knuddeliger Kilroy, ein Kind, das während der Dinnerparty von befreundeten Eltern am Tisch erschien – oft mit einer atemberaubend hübschen Babysitterin im Schlepp, so als sei diese Zusatzleistung Bestandteil des Gesamtpakets –, das Haar noch feucht vom Bad und sauber von Johnson & Johnsons Babyshampoo, in einem frisch duftenden Pyjama, Mädchen oder Junge, und immer artig, zum Anbeißen süß, hyperintelligent, abends früh im Bett und morgens erst spät wieder auf den Beinen – »pflegeleicht«, wie die Eltern sagten. Diese Kinder waren Bezugnahmen auf Alice’ und Davids Privatdiskussion, auf das nächste Kapitel ihrer Ehe, auf das Glücksversprechen der Fortpflanzung, aber nur, wenn David guter Laune war. War er es nicht, gehörten die Kinder zu der Verschwörung der Eltern dieser Welt, die ihn und Alice in die gleiche

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