Mister Peanut
und fang von vorn an. Später bereute er auch diese Gedanken. Sein Gefühlszustand hatte sich von taub in dauerängstlich verwandelt, und er freute sich wahnsinnig, als sich für ihn die Gelegenheit ergab, gegen Monatsende für eine Woche nach Honolulu zu fliegen und an einem Computerspielekongress teilzunehmen. Die räumliche Nähe zu Alice verschlimmerte seine Angst und überzeugte ihn davon, dass etwas nicht in Ordnung war, vielleicht weil sie sich, seit sie schwanger war, schrecklich unwohl fühlte, so als bringe der Zustand sie schleichend um. Sie litt an den verschiedensten Symptomen: stechende, auf Gebärmutterwachstum zurückzuführende Schmerzen im Unterleib; sie ließ stehen und liegen, womit sie gerade beschäftigt war, und hielt ganz still. Im zweiten Monat musste sie sich regelmäßig und heftig übergeben. Von morgendlicher Übelkeit zu sprechen hätte die restlichen Stunden des Tages unterschlagen: Sie schlug sich die Hand vor den Mund, wenn sie aufstand, ins Bett ging, auf dem Weg zum Bett, morgens, mittags und abends. Sie übergab sich im Zug und im Bus. Sie spuckte aus dem Beifahrerfenster, wenn David sie zur Schule fuhr; der lange Speichelfaden aus ihrem Mund erinnerte an einen Kometenschweif. Offenbar fing sie an zu würgen, sobald die Namen bestimmter Leute oder Orte fielen und wann immer sie Kaffee oder Curry roch. Natürlich beunruhigten diese Symptome Alice, obwohl das Geschehen an sich sie faszinierte, die Tatsache, dass sich die zahlreichen Schwangerschaftsmythen und Fernsehberichte an ihrem eigenen Leib bestätigten. »Man kotzt wirklich ständig«, sagte Alice. »Es ist genau, wie die Leute sagen, man fühlt sich, als hätte man eine Magen-Darm-Grippe.« Meistens steckte sie die Übelkeit locker weg. Meistens war sie überglücklich. »Heute«, sagte sie, »hat Mr. Peanut mich wieder zum Kotzen gebracht. Mr. Peanut muss da drinnen ziemlich unglücklich sein.« Manchmal fragte sie sich laut: »Ich frage mich, wie Mr. Peanut aussehen wird.«
Während Alice in der sechzehnten Woche am Abend vor der nächsten fälligen Ultraschalluntersuchung das Essen auf der Toilette wiederkäute, lag David gedanklich wiederkäuend im Bett und wurde von neuer Angst vor der Schwangerschaft, vor diesem Ding, vor der todbringenden Natter in Alice’ Körper ergriffen. Zugegeben, ein Kind konnte seine Eltern sehr glücklich machen, aber es konnte die Mutter auch umbringen. Immerhin hatte ein Kind Alice’ Mutter umgebracht, eine Tatsache, die aus irgendeinem Grund in Vergessenheit geraten war. Der ganze medizinische Fortschritt, alle Errungenschaften der Technik kreisten allein um den Embryo und ließen die Mutter außer Acht. Folglich war es nicht so egal, wie David während der Zeugung gedacht hatte. Es war nicht egal, weil das Kinderkriegen mit einem Risiko einherging.
»Komm in ein paar Wochen mit nach Hawaii«, sagte er, als Alice endlich zu ihm ins Bett kam. Er wollte nicht, dass sie mitkam, und er wusste, sie würde ablehnen. Aber er wollte, dass sie sich eingeladen fühlte, denn nur dann würde sie glücklich zu Hause bleiben. »Du brauchst Urlaub«, fügte er hinzu.
»Das geht nicht«, sagte sie und rieb sich den Bauch, »das würden wir nicht überleben.«
Es war nicht egal, denn das Kinderkriegen ging mit einem Risiko einher, dachte er wieder. Noch deutlicher wurde ihm die Gefahr am nächsten Tag, als Alice auf dem Rücken ausgestreckt auf dem Untersuchungstisch im abgedunkelten Ultraschallzimmer lag, still und friedlich angesichts der sepiafarbenen Zerrspiegelbilder auf dem Monitor. Ihr Magen beruhigte sich für eine Weile, so als habe das durchsichtige Gel, das die Ärztin auf ihrem Bauch verteilte, eine narkotisierende Wirkung. David hielt Alice’ Hand, beobachtete den Bildschirm hinter der Schulter der Ärztin und wurde sich bewusst, dass sie beide wohl nicht unterschiedlicher auf die Situation hätten reagieren können. Alice war selig, so als wäre der Ultraschallkopf, der auf ihren Leib gepresst wurde, ein Joystick, der sie durch verschiedene Glückslevel führte, während Davids Gesichtsmuskeln sich zu einer schielenden Grimasse verzerrten. Der Fötus sickerte und ruckelte in Sicht, seine Knochen verflüssigten sich und fügten sich dann wieder zu etwas Festem zusammen; plötzlich war er filigran wie eine Fledermaus, seine Bewegungen wirkten flink und raubtierhaft, wie die eines auf Schnelligkeit ausgelegten Wesens. Dann hielt er inne, krümmte sich zusammen und tauchte in die Tiefen
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