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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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gewesen war, hatte der Anblick ihn fasziniert. Eine große Leere. Eine endlose Schneedecke. Eine menschenleere Stadt mit breiten, autofreien Straßen. Er dachte an die apokalyptischen Filme, über die er als Jugendlicher gestaunt hatte: Straße der Verdammnis. In der Gewalt der Unterirdischen. Der Omega-Mann (»Beten Sie für den letzten Überlebenden«, hatte auf dem Filmplakat gestanden, »denn er ist nicht allein«). Die Handlung hatte er inzwischen vergessen, sie war ohnehin unwichtig. An den Freiraum hingegen konnte er sich gut erinnern. An die Freiheit. Die Weite. Mit hundertsechzig Sachen über die Park Avenue zu brettern, sich auf den Stadtautobahnen durch die Wracks zu fädeln, der Rauch und die ausgebrannte Skyline, die in der Ferne ins Blickfeld kam. Gebt ihm fremde Betten in den Wohnungen fremder Leute. Lasst ihn ohne schlechtes Gewissen in anderer Leute Schubladen wühlen, in menschenleeren Kaufhäusern die Kleider von den Bügeln reißen und nachts in vorzeitlichen, im Museum wiederaufgebauten Hütten schlafen. An jenem Ort würde er seine wahre Liebe finden. Sie war irgendwo da draußen. Und wenn sie einander gefunden hätten, wäre die Angst verschwunden; sie würden einander in die Augen sehen und verstehen.
    Es war seltsam, sich auf so angenehme Weise zu gruseln, sich solche Sachen zu wünschen. Hatten er und Alice eigentlich diese besondere Art von Verständnis gefunden? Er konnte sich an eine Zeit erinnern, in der er davon überzeugt gewesen war. Am deutlichsten bewusst wurde er sich dieser Tatsache in seinen Träumen; nur wenn er davon träumte, sie zu verlieren, erkannte er seine eigene, ausgeprägte Bedürftigkeit. »Ich hatte einen schlimmen Traum«, sagte er oft beim Aufwachen, fast noch im Schlaf. »Erzähl mir davon«, sagte Alice dann. »Ich habe geträumt, du hättest mich verlassen«, erklärte er. Jetzt, mit Blick aus dem Flugzeugfenster, weckte ihn der Gedanke, am Ende seiner Lebensmöglichkeiten angekommen zu sein. Die zunehmende Höhe ließ ihn auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Wir bekommen ein Baby, dachte er, und es ist nicht egal. Seine Nervosität und seine Angst – um Alice, um alles Mögliche – schlugen der Liebe keinen Pfad, sondern eine Schlucht, breit genug, um darin die mächtigsten Kräfte zu kanalisieren. Wir bekommen ein Baby. Hatte er da gerade etwas gefühlt? Er legte seine Hand auf ihren Bauch. Nein. Es war seine Aufgabe bei dem Projekt, sich des Kindes in ihrem Bauch bewusst zu werden. Das war eine schöne, wundervolle Sache, so geheimnisvoll und bemerkenswert wie das Fliegen, und es war die größte Überraschung, die das Leben bereithielt, denn obwohl er schon wusste, dass etwas herauskommen würde, konnte er nicht in ihren Bauch hineinkriechen. Er konnte beim Ultraschall einen Blick auf diesen kleinen Menschen erhaschen, aber er konnte ihn ebenso wenig kennenlernen, wie er durch die Welt aus Wolken da unter seinem Flugzeugfenster spazieren konnte. Als seine Hand auf dem Bauch seiner Frau lag, beschloss David, dass er stark sein würde.
    Sie verschlief das Abendessen, und er stellte das Tablett für sie beiseite. Nach dem Essen döste er selbst kurz ein. Als er aufwachte, ging der erste Spielfilm gerade zu Ende. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Der Flugkapitän erklärte, sie überflögen soeben den Grand Canyon, aber David konnte nichts als Finsternis erkennen. Er nahm die Karte mit den Sicherheitshinweisen und sah nach, welcher Notausgang im Fall einer Notlandung infrage käme. Bei einer Notwasserung würde das Flugzeug in einem Stück auf dem Wasser treiben, so als wäre es allein zu diesem Zweck gebaut worden. Wären er und Alice in der Lage, auf einer einsamen Insel zu überleben? Das Kind dort zu bekommen? Zuerst würden sie Feuer machen müssen. In Wirklichkeit gab es natürlich keine einsamen Inseln, keine Möglichkeit, derart verloren zu gehen. Es gab auf der ganzen Welt keinen unentdeckten Winkel mehr.
    Er bestellte einen Drink, und als die Flugbegleiterin ihn brachte, bemerkte er, dass er kein Bargeld im Portemonnaie hatte. Zwischen ihren Sitzen stand Alice’ Handtasche, und als er darin kramte, bemerkte er eine kleine Schachtel Unisom, ein Schlafmittel, dessen Wirkstoff ein Antihistamin war und das einzunehmen die Ärztin Alice erlaubt hatte. Er überschlug, wie lange der Flug noch dauern würde, warf zwei Tabletten ein und bestellte einen weiteren Drink, und dann machte er es sich bequem und schaute Dodgeball . Leider waren seine

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