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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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von Alice’ Unterleib ab.
    »Es bewegt sich ausgespochen viel«, sagte die Ärztin, schaute sie an und nickte vielsagend.
    Daraufhin hätte David am liebsten gefragt, ob etwas nicht in Ordung sei, aber er hatte zu viel Angst. Die Ärztin schaltete am Ultraschallgerät herum, machte Aufnahmen und fertigte Ausschnitte und Vergrößerungen an, als verarzte sie das Bild; sie maß den Durchmesser von Gehirn und Bauch, überprüfte Wirbel und Rückenmark und vergrößerte das Herz in verschiedenen Ansichten, bis ganz deutlich die zwei Herzkammern zu erkennen waren, die flatterten und das Fruchtwasser ansogen wie der Mund eines riesigen Tintenfischs Blut, dachte David.
    Alice wandte sich ihm lächelnd zu. »Sieh dir Mr. Peanut an«, sagte sie. »Nicht zu fassen, er ist es wirklich.« David lächelte zurück, fing aber erneut zu schielen an, sobald Alice sich wieder dem Monitor zugewandt hatte. Ihm wurde bewusst, dass er den Atem anhielt. Die Ärztin verstärkte die fetalen Herztöne, ein Hintergrundgeräusch, das er kaum beachtet hatte, allgegenwärtig und bis zu diesem Augenblick unerkannt, eine sabberige Abfolge von P s und E s, ein Lispeln, das den Raum ausfüllte und an das Geräusch kleiner Jungen erinnerte, die Gewehrschüsse imitieren.
    Tu meiner Frau bloß nichts an, sagte David zu dem Ding.
    Die Schwangerschaft entwickele sich normal, versicherte Dr. Redundi ihnen nach der Untersuchung, gewiss, erklärte sie, die morgendliche Übelkeit sei unangenehm, aber nicht ungewöhnlich. Die Unterleibskrämpfe seien möglicherweise ein Hinweis auf andere Probleme, vielleicht Endometriose; falls sie noch länger als eine Woche andauerten, werde sie Alice’ Ernährung überprüfen. Aber fürs Erste sei sie zufrieden. Das Baby mache einen vollkommen gesunden Eindruck. Mit der Übelkeit sei es nun bald vorbei. So kam es, dass Alice, als ihre Symptome ein paar Tage vor Davids Abflug nach Hawaii tatsächlich verschwunden waren, ihre Meinung änderte und sich entschloss, ihn zu begleiten. Sie war in der zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche.
    Sie flog ungern. Sie hegte sogar einen regelrechten Widerwillen gegen das Fliegen. Ihre Angst spiegelte die verstörende Macht von Spielfilmen wie Fearless – Jenseits der Angst , ein Film über eine Gruppe von Menschen, die wie durch ein Wunder einen Flugzeugabsturz überlebten. Sie hatten ihn zusammen gesehen, und die ausführlichen, gnadenlosen Szenen, die das Kabineninnere im Moment des Aufpralls zeigten, hatten Alice dauerhaft traumatisiert. Die Sitze wurden reihenweise aus der Verankerung gerissen und die Menschen von einer Kraftwelle durch die Kabine geschleudert. Die Erschütterung riss Kleinkinder aus dem Arm der Mutter und verwandelte Gepäckstücke in Geschosse, die mit Warp-Geschwindigkeit durch den Mittelgang flogen und die Schläuche der baumelnden Sauerstoffmasken zerfetzten, bis die verworrenen Schnüre nicht mehr von den bloß gelegten Gedärmen zu unterscheiden waren; die Passagiere rissen die Augen auf, als sie durch den aufgeplatzten Flugzeugrumpf den Himmel und die Erde sehen konnten. David vermutete, dass die Sequenz sich in Alice’ Träumen unzählige Male wiederholt hatte und sich ihrem Bewusstsein entgegendrängte, wann immer sie sich einem Flughafen näherte. Schon beim Einchecken wurde ihre Atmung flach. Sobald sie das Gate erreichten, wurde ihr schwindlig, und ihr Gesicht verfärbte sich seekrankgrünlich, und als das Flugzeug endlich abhob und sie ihm oft genug vorgeworfen hatte, sie zu der Reise gezwungen zu haben, lagen ihre schwitzenden Hände in seinen, und ihr Atem begann aus unerklärlichem Grund faulig zu riechen.
    »Was war das?«, fragte sie, als ein Rumpeln zu hören war und Queens unter ihnen verschwand. Ihr Ehering quetschte seinen Finger und schnitt in seine Haut, während sie ihr Gesicht an seinem Arm vergrub.
    »Das waren die Räder«, sagte David und legte seine Stirn an ihre. »Sie werden eingefahren.«
    Sie klammerte sich an ihm fest, während er wartete und sie im Arm hielt. Schließlich schien sie sich zu entspannen, was auch ihn entspannte. Weil sie die Augen geschlossen hatte, schloss er seine ebenfalls. Bei jedem Geräusch verstärkte sich der Druck ihrer Finger. Sie flogen nachts und bei Vollmond und waren schon bald in jenes unglaubliche Land über den Wolken aufgestiegen, zu jenem unendlich weiten Gletscherbaiser, der so unberührt wie eine weiße Zimmerdecke war und genauso wenig je betreten würde. Seit er ein kleiner Junge

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