Mister Peanut
verändern; er entdeckte einige Häuschen, die in die üppige Vegetation der Berghänge hineingebaut waren. Weiße, quaderförmige, zweigeschossige Häuser, die sich zwischen den Bäumen versteckten und seltsam schlicht aussahen; ihre breiten Fensterfronten, die allesamt auf den zur Rechten gelegenen, funkelnden Pazifik hinausgingen, reflektierten das Licht des strahlend blauen Himmels. Obwohl man kaum von Villen sprechen konnte, vermittelten die Häuser durch das Zusammenspiel von Hanglage, Höhe und Meerblick ein Gefühl von unfassbarem Luxus; alles das und der feste Glaube der Hausbesitzer, man könne sich, sei man nur entschlossen genug, jeden Traum verwirklichen. Es war so einfach: »Ich werde auf Hawaii leben und jeden Tag das Meer sehen.« Die Leute, die hier wohnen, dachte David, müssen cleverer als ich sein. Sie hatten vermutlich ein tief gehendes Verständnis von sich selbst, das ihnen dieses Leben ermöglichte. Er tätschelte Alice’ Bein, warf einen flüchtigen Blick auf sie und das Baby und wandte sich dann wieder ab. Mein Gott. Er wollte sich bei ihr entschuldigen. Sein Verbrechen gestehen. Sie hielt ihr gemeinsames Kind im Arm und war immer noch so weit weg. Als sie eine Bergkuppe erreichten und David am Sanitäter vorbei zur Windschutzscheibe hinausschaute, entdeckte er ein riesiges Bergmassiv, dessen schräger Grat sich wie ein Krummsäbel zu einem buckligen Gipfel hinaufzog, dessen Nackenlinie an ein gestrandetes Meerestier erinnerte. David fiel ein, dass es sich bei dem Berg um den berühmten Diamond Head handeln musste; die lehmigen Hänge waren von Rinnen durchzogen, die eine riesige Katze hineingekratzt haben musste, der unversehrte Fels darüber schien unbewohnbar. Im Vergleich zu den von Menschenhand geschaffenen Gebäuden, die die Küste säumten, wirkte der uralte Berg frisch und neu und wunderschön. An seinem Fuß konnte David einzelne Wohnhäuser ausmachen, die unter den niedrigen Wolken, die den Berg kaum überragten, wie aufgehäufte Diamanten schimmerten. Er wurde von dem Gefühl beschlichen, den falschen Lebensentwurf gewählt zu haben. Hier war es so schön, dass man über sein eigenes Leben beschämt war. Und dann wurde ihm klar, dass er selbst in diesem Moment, angesichts des Unglücks, angesichts seiner Frau, die mit ihrem toten Baby neben ihm auf einer Trage lag, schon wieder das Falsche dachte.
Er wollte etwas zu Alice sagen, aber auch nachdem er all seinen Mut zusammengenommen hatte, wagte er nicht, den Mund aufzumachen. »In welches Krankenhaus bringen Sie uns?«, fragte er den Sanitäter.
Der Mann war ein untersetzter Einheimischer mit karamellbrauner Haut und einem rabenschwarzen Pferdeschwanz. »Kaiser Permanente«, sagte er. Als ob das etwas ändern würde.
Als sie angekommen waren, nahmen die Ärzte seine Frau für weitere Untersuchungen mit. Das Kind blieb bei ihr. Niemand sagte David, wann sie zurückkommen würde, also setzte er sich benommen in den Wartebereich und starrte auf den Fernseher, ohne an etwas Bestimmtes zu denken. Die Moderatoren im Lokalfernsehen sahen aus wie überall auf der Welt. Nachrichtensprecher, Meteorologen, Sportreporter waren von unterschiedlicher Hautfarbe, gehörten aber demselben Universaltyp an. Plötzlich war David überzeugt, dass er träumte, er rang nach Luft und musste an Alice und ihre Geschichte vom Ersticken denken. Der Vorgang des Erzählens war an sich ein Akt der Hoffnung, dachte er, selbst wenn von der totalen Einsamkeit erzählt wurde. Ihre Gespräche hatte den Zweck gehabt, ein Unglück der Art, wie es ihnen nun zugestoßen war, abzuwenden. Es hatte sich, das erkannte David jetzt, um das innerliche Sammeln vor dem Absprung gehandelt, um eine Art Langgebet. Und er war überzeugt davon, mit einem einzigen schlechten Gedanken – ist doch egal – alles kaputt gemacht zu haben. Das wollte er seiner Frau beichten. Er wusste, dass sie ihn für immer davonjagen würde, und er hätte es nicht anders verdient. Sie wäre dann von ihm gereinigt und in Sicherheit. Auf einmal überkam ihn die Erschöpfung, und wieder schlief er ein – für wie lange, wusste er selbst nicht. Er hatte seine Uhr nicht umgestellt und wusste nach dem Aufwachen nicht, wie spät es war; er suchte nach einer Uhr, obwohl ihm die Helligkeit und der Stand der Sonne draußen vor den Fenstern verrieten, dass Vormittag sein musste. Schlagartig fiel ihm ein, dass ihr Gepäck noch am Flughafen stand und er Alice’ Tasche vergessen hatte. Was war nur los mit ihm,
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