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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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dreihundertzweiundachtzig. Sie können sofort raufgehen, wenn Sie möchten.«
    »Ist er bei ihr?«
    »Ja. Aber wahrscheinlich wird sie erst in einer Stunde aufwachen.«
    David stellte sich Mutter und Kind vor. »Ich habe solchen Hunger«, sagte er. »Ist das schlimm?«
    »Natürlich nicht«, sagte Dr. Ahmed. »Die Cafeteria befindet sich in diesem Stockwerk. Gehen Sie durch die Tür, und folgen Sie den Schildern.«
     
    David lud seinen Teller so voll, dass es widerlich war.
    In der Cafeteria war ein Frühstücksbuffet aufgebaut, und zusätzlich zum üblichen Angebot gab es Ananas, natürlich Wassermelonen und Honigmelonen – besser als alle, die David je probiert hatte –, dazu Kokossirup, der ungewohnt süß schmeckte, perfekt zu Pfannkuchen passte und von dem David einen großen Vorrat mitzunehmen beschloss. Noch während er aß, fragte er sich, was mit ihm nicht in Ordnung war. Wie konnte er so hungrig sein? Es war, als hätte er während Alice’ Schwangerschaft gefastet und dürfe erst jetzt, da das Baby tot war, wieder essen. Im selben Augenblick überfiel ihn wieder jener übermächtige Fatalismus, ein unheimliches Gefühl der Entfremdung in Bezug auf diese Reise, deren Ablauf einer festgelegten, unabänderlichen Reihenfolge zu gehorchen schien. Wenn er die Ereigniskette in die Zukunft hineinverfolgte, dann schwante ihm, was sein eigenes Schicksal betraf, Fürchterliches.
    »Mr. Pepin?«
    Ein älterer Mann sprach ihn an, und auf den ersten Blick hielt David ihn für einen Piloten. Er trug eine steife, blaue Uniform mit Schulterklappen und einem ans Revers gepinnten Flügelpaar. In der linken Hand hielt er eine Mütze, unter seinem Arm klemmte eine Aktenmappe. Die freie Hand streckte er David entgegen, um sich mit festem, trockenem Händedruck vorzustellen. »Dr. Ahmed hat mir verraten, wo ich Sie finden kann«, sagte er. Obwohl der Mann mindestens Mitte sechzig war, wirkte sein Gesicht frisch, hellwach, mit einem jugendlichen Blitzen in den blauen Augen. Er war ausgesprochen blass und sah beinahe wie ein Albino aus, so als habe er das Sonnenlicht sein Leben lang gemieden. Er roch nach pfefferminziger Barbasol-Rasiercreme und machte einen durchtrainierten Eindruck; David konnte geradezu sehen, wie er sich stolz mit der Hand auf den flachen Bauch klopfte. Sein volles, weißes, kurz geschorenes Haar war nicht ansatzweise schütter, er hatte einen ganzen Schopf davon, den er vermutlich mit ins Grab nehmen würde. Angesichts dieser gepflegten Strenge und des großväterlichen Duftes, im sanften Licht der Aufmerksamkeit dieses Mannes fühlte David sich zum ersten Mal seit vielen Stunden geborgen.
    »Ich bin Nathan Harold«, sagte er. »Ich arbeite für United Airlines. Ich bin der Vermittler im Schadensfall, obgleich mein eigentliches Fachgebiet die Verkehrspsychologie ist. Darf ich Ihre Zeit für ein paar Minuten in Anspruch nehmen?«
    David nickte, woraufhin der Mann einen Stuhl vom Tisch abrückte und sich setzte. Er legte seine schmale, schwarze Aktenmappe auf den Tisch, ließ die Schlösser aufschnappen, zog eine Akte mit dem Etikett David und Alice Pepin heraus, klappte die Mappe wieder zu und stellte sie zu seinen Füßen ab. Die Vorderseite der Akte zierte ein Flügelpaar, auf das der Mann seine gefalteten Hände legte. »Zunächst möchte ich Ihnen auch im Namen der Fluggesellschaft mein tiefstes Beileid ausprechen. Es tut mir so leid für Sie.«
    Plötzlich schämte David sich für die Unmengen an Essen, die er auf seinen Teller geschaufelt hatte. Sein ohnehin vorhandenes Schuldgefühl steigerte sich ins Unermessliche. Er fürchtete, seine Mimik könnte ihn verraten oder in irgendeiner anderen Hinsicht unpassend wirken, deswegen musste er sich trotz der Freundlichkeit des Mannes anstrengen, dessen Blick zu erwidern.
    »Wie geht es Ihrer Frau?«, fragte Harold.
    »Ich habe sie noch nicht gesehen«, sagte David. »Sie schläft noch.«
    »Wie geht es Ihnen?«
    David versuchte, sich auf Haralds Hände zu konzentrieren, schöne, große, starke Hände. Die Fingernägel waren vom weißen Halbmond an der Nagelhaut bis hin zur akkurat gefeilten Spitze perfekt gepflegt, nicht aus Eitelkeit, sondern aus Gründlichkeit. Und dann tat der Mann etwas Erstaunliches: Er löste die Finger aus der Verschränkung und hielt David seine linke Handfläche offen hin, so als habe er sein Staunen bemerkt und biete ihm die Hand nun zur Inspektion an – eine Handfläche mit einem dichten Netz aus Streifen und Furchen. Kurz war

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